: Missionarsstellungen
Triumph des Stilwillens: U 2 haben sich nun auf das Wesentliche besonnen. Beim Berlinkonzert stand die Musik, nicht die Betroffenheit im Mittelpunkt
von DANIEL BAX
Ein Herz für Bono. Der riesige Laufsteg vor der Bühne sieht aus wie eine herzförmige Schleife und leuchtet hellrot. Im Innenraum hat eine Gruppe Auserwählter Platz gefunden, die allesamt ein orangenes Plastikarmband tragen. Das ist letztlich das U 2-Prinzip: die da drinnen von denen da draußen zu scheiden.
Da drinnen, in der Berliner Waldbühne, das sind die Guten. Vor allem aber: Die treuen Fans, die über 100 Mark für eine Karte bezahlt haben. Für U 2-Verhältnisse ist das Gastspiel in der lauschigen Waldarena eher ein Club-Gig, schließlich ist die Band schon im benachbarten Olympiastadion aufgetreten. Viele der Besucher tragen noch T-Shirts von der überdimensionierten „Pop Mart“-Tour, die ein finanzieller Flop war. Diesmal hat man sich offenbar bewusst fürs Gesundschrumpfen entschieden.
So sind die erklärtesten U 2-Fans diesmal ganz unter sich – alle anderen dürften keine Karten mehr bekommen haben. Und auch die üblichen Aktivisten sind da, die man bei einem U 2-Konzert vermutet: Greenpeace hat einen Stand aufgebaut, um für sauberen Strom zu werben, und bei amnesty international kann man mit fettigen Bratwurstfingern gegen die Todesstrafe für Mumia Abu-Jamal unterschreiben.
Politisch besorgte Eltern würden es wahrscheinlich lieber sehen, wenn ihre Kinder zu U 2 gingen statt zu Limp Bizkit oder Eminem-Konzerten. Aber das ist auch wieder ein Teil des Imageproblems von U 2. Ein anderer ist Bonos Hybris, die ihn glauben macht, zu jedem Weltproblem sein Gesicht zeigen zu müssen. U 2-Bashing ist im Kulturbetrieb deswegen längst nicht mehr bloß Konvention: Es ist der reine Konformismus.
Und bietet Bono nicht immer wieder Anlass zur Häme? Gerade war er in Genua, um die Trommel zu rühren für die „Drop the debt“-Kampagne, die einen Schuldenerlass für die Dritte Welt fordert. Gemeinsam mit Bob Geldof traf er dort die Staatschefs der G 8, die sich hinter einem dichten Sicherheitskordon verschanzt hatten.
Man muss wohl Ire sein, um sich als Popstar in der Rolle des glühenden Gerechtigkeitsapostels nicht unwohl zu fühlen. Jetzt sagt Bono: „Gewalt ist niemals richtig. Egal, ob sie von den Protestierenden ausgeht oder von der Polizei.“ Aber auch: „Wir können Malaria behandeln. Es ist nur eine Frage des Geldes. Das ist Gewalt.“
U 2 sind die letzte große Band aus der Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat und politische Haltung mit dem Musikgeschmack Hand in Hand gingen. Heute ist das nur selten noch so. Allenfalls bei den Demonstranten der Anti-G-8-Brigaden – aber die lauschen lieber Manu Chao, dem Maskottchen der Gegenglobalisierung, der zur gleichen Zeit in Genua ein Freikonzert gegeben hat.
Jetzt aber ist Bono in Berlin, in Deutschland. Also sagt er: „Hier in Berlin wurde Achtung Baby geboren“, und fügt – auf Deutsch radebrechend – hinzu: „Und das ist gut so.“ Dann begrüßt er Berlins neuen Bürgermeister Klaus Wowereit im Publikum.
Bono macht sich auf jede Situation seinen Reim. Doch wegen der alten Missionarsstellung ist das Publikum nicht gekommen, das weiß auch er. Deswegen steht die Musik diesmal so im Mittelpunkt wie lange nicht mehr bei U 2, und kein Showfirlefanz lenkt davon ab. Das kühle und spartanische Bühnendesign kündet von einer Rückbesinnung aufs Wesentliche. Grelles weißes Scheinwerferlicht, wie auf einer Flughafenlandebahn, strahlt in die Arena, schwarzweiße Großaufnahmen des Bühnengeschehens flackern über die seitlichen Leinwände. Erst später, als U 2 zu Songs aus ihrer postmodernen Dancephase in den 90ern kommen, kommt großflächig Farbe ins Spiel, kompakt und konzentriert: Ein Triumph des Stilwillens.
Die neue Schlichtheit korrespondiert auch mit souveränem Abstand zur eigenen Geschichte. In ihrem Programm streift die Band alle Etappen ihrer Karriere, von ganz frühen Stücken wie „I will follow“ bis zum aktuellen Album „Elevation“. Das Klangbild aber zeugt von Kontinuität: Da sind immer wieder diese typischen, anschwellenden und wogenden Gitarrenriffs, die Brian Eno zu so unwirklichen Gebilden aus Hall und Raum aufzutürmen vermochte, lange bevor Elektronik und Rock zu gängigen Partnern wurden. Dafür klingt Bonos Stimme anders: Lange hat man ihn nicht mehr so inbrünstig gospeln und krächzen gehört; zum Schluss ist er ganz heiser. Befreit vom Ballast zu vieler Botschaften, wirken U 2 merklich entschlackt.
Natürlich, der Betroffenheitsgestus schlägt noch immer mal wieder durch. Als ihm jemand eine irische Fahne entgegenstreckt, erinnert Bono an die Abstimmung über den Friedensprozess in Nordirland am nächsten Tag. Und als U 2 zur Zugabe auf die Bühne treten, erscheint auf der Leinwand, auf der vorher nur bunte Farben zu sehen waren, ein Werbespot gegen die US- Waffenlobby um Charles Heston, die ihr Grundrecht auf freie Schusswaffenwahl verteidigt.
Und noch immer ist Bono der Charismatiker, der die Massen berühren möchte, die sich ihm entgegenrecken wie Hungernde dem Heiland. Irgendwann entdeckt er im Publikum ein Mädchen im Ramones-T-Shirt und zieht es zu sich auf die Bühne. Mit Joey Ramone, behauptet Bono, habe ihn gegen Ende dessen Lebens eine Freundschaft verbunden. Und das nächste Stück sei eines der letzten, das der kürzlich an Krebs verstorbene Punksänger in seinem Leben gehört habe. Dann singt er „In a little while“, und das Mädchen neben ihm fällt ihm schluchzend um den Hals. Gut möglich, dass sich Joey Ramone in diesem Moment im Grab umgedreht hat.
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