LeserInnen-Repliken auf Sibylle Tönnies: Eine Super-Satire
betr.: „Chaos ist Fortschritt“ (Aus Anarchie entsteht Ordnung), taz vom 27. 7. 01
O.K.,setzen wir die UNO unter Gehirnwäsche mit modernisiertem Teilhard de Chardin, damit ihnen die demokratischen Flausen aus den Köpfen verschwinden. Ein schlagkräftiger Staat braucht eine einigende Idee. Eine Welt, eine Regierung, eine Mentalität. Die ganzen Parlamente sind eh nur Schwatzbuden, da sind sich nicht nur Berlusconi und Schröder einig, das wussten unsere VordenkerInnen in Kirche und Bewegung schon immer. Und solche nicht staatlichen Organisationen wie Greenpeace, amnesty, Brot für die Welt etc. werden mit vereinnahmt. Nörgeleien wie „1984“ oder „Brave New World“ werden gar nicht erst zugelassen. Wir wollen uns doch die schöne Einheit nicht vergiften lassen!
[...] Ihre Zeilen sind schon eine Super-Satire! Etwas zu stark: Wer merkt schon, dass es sich dabei um Satire handelt? Vielleicht nicht mal mehr Sie selbst? MICHAEL PIETSCH, Schwerin
Frau Tönnies entwirft ein Bild, in dem die Demokratie irgendwie verloren gegangen ist. Da gibt es nur die Pole Weltregierung und Anarchie. Warum bloß ist als einziges nachvollziehbares Ziel der Globalisierungsgegner die Tobinsteuer sagbar geblieben? Weil die herrschende Ideologie der ungebremsten Shareholder-Value die Diskurse und Realitäten schon soweit von den demokratischen Denk- und Handlungsweisen weggedrängt hat, dass im öffentlichen Bewusstsein die Weltgesellschaft, welche sich in den Gegengipfeln zu Wort meldet, zur Einsilbigkeit reduziert wird. Diese Weltgesellschaft hat aber im Gegenteil in den 90er-Jahren vehement und sehr engagiert darum gerungen, dass globale Richtlinien entstehen, die eine demokratische, humanitäre und ökologische Globalisierung befördert hätten; allein das Primat der ökonomischen Macht über die Politik hat erfolgreich verhindert, dass diese Richtlinien die Entwicklung bestimmen konnten.
[...] Nach dem Fall der Mauer gab es die Hoffnung auf eine Friedensdividende und eine Weltentwicklung für mehr Gerechtigkeit. Beim Gipfel in Rio engagierten sich viele Gruppen, um für eine gerechte und nachhaltige Entwicklung das Prinzip global denken – lokal handeln, welches ja aus den sozialen Bewegungen kam, hoffnungsfroh in einem globalen Dokument festzuschreiben. Zur selben Zeit erreichten engagierte Aktivisten, dass im Biodiversitätsabkommen wesentliche Prinzipien ökologischer und indigener natur-kulturrechtlicher Erkenntnis als Abwehr gegen die Willkür industrieller Vereinnahmung und Zerstörung des Planeten festgehalten wurden. Das Ökologische und das Soziale wurden sehr wohl auf der Ebene globaler Verträge durch die engagierte Weltgesellschaft demokratisch durchdekliniert, nur dass die Herrschenden zu verhindern wussten, dass Demokratie (die immer von unten kommt) auch die Entwicklung (der Globalisierung) bestimmte. [...] Während in dem Rio-Papier die Menschen und die Wirtschaft irgendwie als gleichwertige Verhandlungspartner dargestellt werden, haben die Wirtschaftslobbyisten immer gezielt danach gestrebt, die lästige Demokratie der Menschen durch ein Regelwerk der Vorherrschaft der globalisierten Finanzkräfte über andere rechtliche Instanzen voranzutreiben.
Das MAI wurde hinter verschlossenen Türen zwischen Lobbyisten, geneigten und gekauften Politikern und Regierungsvertretern verhandelt. Dass es im letzten Moment verhindert wurde, verdankt sich der Weltgesellschaft, die in einer Demokratie der Regent sein sollte. Wie sollte eine demokratisch legitime Weltregierung denn aussehen, wenn nicht solche Prozesse, wie die zum MAI, prinzipiell verboten werden, wenn nicht die UNO total umgekrempelt würde: Biodiversitätsabkommen, demokratische Rio-Prinzipien und Sozialagenden Vorrang erhalten vor dem alles beherrschenden Gesetz der Shareholder-Value und ihren Instrumenten WTO, Gatts, IWF, Weltbank etc.? Welche Weltpolizei sollte das durchsetzen? [...] RUTH LUSCHNAT, Berlin
[...] Frau Tönnies, keine Naturwissenschaftlerin, sondern eine Humanistin, die womöglich zum ersten Mal in ihrem Leben ein auf pseudonaturwissenschaftlicher Basis argumentierendes Buch (bereits älteren Datums) in die Hand genommen hat, und der sich dann prompt der Sinn & Zweck des gesamten Universums erschloss. Es lohnt nicht, des Näheren auf die wissenschaftlichen Fragen einzugehen, sie haben Frau Tönnies im Gefolge ihres Gurus ohnehin allenfalls soweit interessiert, als sie sich aus den unzähligen Erscheinungen im Reich der Natur das zur Weltbildproduktion geeignete herausgepickt hat. Dies ist nicht nur erbärmliche Naturwissenschaft, es ist auch erbärmliche Historie – denn selbst wo wir uns im Rahmen jenes Gedankengebäudes noch ganz im Reiche der Natur bewegen, handelt es sich um strikt geschichtliche Prozesse, und in der Geschichte gibt es ganz offenkundig keine Gesetze (und folglich kein Telos), bestenfalls unter gegebenen Umständen gewisse sehr allgemeine, stets heikle Tendenzen und Wahrscheinlichkeiten. Der übergroße Rest ist Kontingenz. [...] Ganz übel wird es aber, wie bei allen Biologismen, wenn solche vorgeblichen Naturgesetzlichkeiten auf die Einrichtungen übertragen werden, die die Menschen in ihrem gesellschaftlichen Umgang mit sich selber aushandeln (so gut es denn gehen will). Kein Wort mehr. [...]
Meister Teilhard de Chardin ist übrigens post mortem so gut wie überführt worden, als junger Mann in seinem Beruf als Paläontologe einmal Belegstücke – ganz ordinäre Knochenfunde – gefälscht zu haben. Es geschah dies wahrscheinlich nicht aus persönlichem Ehrgeiz, sondern weil das Resultat der Manipulationen so schön zu der Theorie stimmte, die er vertrat, anscheinend hat er hinterher selbst an die Echtheit der Beweise geblaubt. Nun mag man anhand dieses Exempels ein wenig nachdenken über gewisse psychologische Gesetzmäßigkeiten menschlichen Handelns und Denkens – die ewige Sehnsucht nach geschlossenen Weltbildern, in denen alles prima zusammenstimmt und Sinn macht.
MANFRED EISENBERG, Köln
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