: Den Ernstfall üben
Der Wegfall des Rabattgesetzes ändert nicht viel, laut Handel. Trotzdem trainieren Verkäufer, wie man sich gegen feilschende Kunden wehrt
von MARIUS ZIPPE
„Der Wegfall des Rabattgesetzes wird uns beschäftigen, so lange wir leben.“ Ralph Oetker hat seinen Zuhörern gerade erklärt, warum sie in seinem Seminar sitzen. Nach diesem letzten Satz herrscht in dem Schulungsraum des Einzelhandelsverbands Berlin Stille. Die Schuhverkäuferin, die Kassiererin eines Schnäppchenmarktes, der Manager eines Discounters und die Inhaberin des Schokoladengeschäfts halten die Luft an. „Lebenslang“, das hat Eindruck hinterlassen.
Zwar gibt es noch zu wenig Erfahrungen mit der neuen Situation nach dem Fall des Rabattgesetzes. Auch der Präsident des Einzelhandelsdachverbandes BAG wollte sich deshalb gestern noch nicht dazu äußern. Die Händler, die sich dennoch äußern, geben sich meist überzeugt, dass es in Zukunft weder große Preisnachlässe noch großzügige Zugaben geben werde. Ist also gar nichts dran am Feilschen? Offenbar doch: Denn der Personaltrainer Ralph Oetker ist ein gefragter Mann. Bis zu vierzehnmal im Monat reist er durch das Land, um Verkäufern den Umgang mit feilschwütigen Kunden beizubringen.
Das Branchenblatt Einzelhandelsberater glaubt zu wissen, was für Kunden in Zukunft vermehrt auftauchen: die so genannten Smart-Shopper. „Smart“ steht für selbstbewusst, aufgeklärt, rabattfordernd und taktlos. Ein kompromissloser Mensch, der Markenware zum Schnäppchenpreis erstehen will. Viele Händler rechnen insgeheim zunehmend mit solchen aggressiven Käufern. In seinem Seminar warnt Ralph Oetker aber seine Zuhörer davor, den Smart-Shopper als „bösen Kunden“ zu sehen. Feilschen sei normal. „Riskieren Sie im Verkaufsgespräch keine Bruchlandung.“
Das ist leicht gesagt, denn viele Einzelhändler stecken in einem Dilemma. Zum einen wollen sie ihre Preisspannen nicht schmälern. Zum anderen müssen sie dem Kunden das Gefühl geben, das Preisleistungsverhältnis sei bei ihnen besonders gut. Wie sie sich aus dieser Klemme befreien, lernen die Händler in den Seminaren der Oetker-Berufsbildung. Hier trainieren sie typische Preisgespräche und lernen, wie man Kunden umgarnt. Als Faustregel gilt: „Lassen Sie den Kunden ruhig gewinnen, aber nur ein bisschen.“
Dafür gibt es verschiedene Strategien, zum Beispiel bei gleichem Preis, Zugaben anzubieten. Das können verlängerte Garantien für Geräte sein, die die normalen Fristen sowieso überleben. Für kleine elektronische Geräte gibt man Batteriegutscheine mit. Die werden oft verkramt. Zu den Strategien gehört aber nicht nur, die materiellen Spielräume zu nutzen. Im Verkaufsgespräch sollen Kunden mit Gegenfragen verunsichert werden. Rabatt? Wofür? Kommt die Behauptung, diese Ware sei woanders billiger, bügelt der Verkäufer gekonnt ab. Wo? Fängt der Smart-Shopper zu drucksen an, kommt er von seinem hohen Ross herunter.
Doch wie wird der Wegfall des Rabattgesetzes genutzt? Die großen Handelsketten scheinen ihre Ankündigung wahr zu machen, die neuen Freiheiten vorerst zu ignorieren. „Bei uns gilt die klare Parole, dass über Preise nicht verhandelt wird“, sagt Detlef Steffens, Geschäftsführer einer Berliner Kaufhoffiliale. Und die Kunden: „Die versuchen nur vereinzelt, die Preise noch mal zu drücken.“
So zieht der Hauptverband des Einzelhandels in dieser Woche nach einer Blitzumfrage eine positive Bilanz: „Obwohl das Rabattgesetz weggefallen ist, hat sich kaum etwas geändert“, sagt Verbandssprecher Hubertus Pellengahr. Die wenigen Feilschversuche seien oft scherzhaft gemeint. „Die Kunden wollen niedrige Preise, die auf Schildern stehen.“ Pellengahr räumt jedoch ein, dass es für ein abschließendes Urteil noch zu früh sei. „Derzeit bestimmt der Sommerschlussverkauf die Preise.“
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