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Hölle unter freiem Himmel

Seit 30 Jahren ziehen Margarete Biereye und David Johnston mit Wandertheatern durch die Welt. Jetzt spielen sie ihre Fassung von Christopher Marlowes „Doctor Faustus“ auf dem Mariannenplatz

von ESTHER SLEVOGT

Der eine Wandertheater-Faust ist gerade aus der Treptower Arena nach Wien weitergezogen, da hat auf dem Kreuzberger Mariannenplatz schon das nächste Faust-Projekt Stellung bezogen. Die Wohnwagen, die sich kreisförmig wie eine Wagenburg um die kleine Freilichtbühne schließen, machen allerdings deutlich, dass weitere Vergleiche dieses Faust vom Glindower Wandertheater „Ton und Kirschen“ mit Peter Steins (und Daimler-Chryslers) Marathon-Faust völlig abwegig sind. Denn mehr als den legendären Renaissancegelehrten, den es wahrscheinlich wirklich gab, haben beide Projekte nicht gemein. Der „Ton und Kirschen“- Faust stammt auch nicht von Goethe, sondern vom Shakespeare-Zeitgenossen Christopher Marlowe und die Geschichte wird hier nun so gespielt, als wäre seit der Entstehung des Dramas nicht fast ein halbes Jahrtausend vergangen.

Schauerliche Teufel, Hexen und Engel bevölkern in fantastischen Varianten die Szenerie, die hinterher in lodernden Flammen aufgeht. Allerlei Leonardo-da-Vinci-hafte Flug- und Fahrobjekte kreuzen immer wieder das Bild. Umbauten werden zu skurril choreografierten und ausgesprochen sehenswerten Kapriolen. Mit Trommeln und elektronisch verfremdeter Querflöte sorgt Jean Cohen-Solal für einen magischen Klangteppich, der Teufel, Engel und den glutäugigen Mephistopheles des marokkanischen Schauspielers Mahamed El Hassouni standesgemäß untermalt – was zum Verständnis auch dringend nötig ist, da dieser Mephisto bloß Französisch spricht.

Aber fangen wir von vorne an: Der Gelehrte Dr. Faustus (Carl Poirier) hat die Wissenschaft satt und strebt nach Höherem. Er will göttliche Macht durch schwarze Magie und schließt einen Pakt mit dem Teufel, der allerdings nicht Macht, sondern 24 Jahre Wollust verspricht. Danach soll Dr. Faustus Seele dem Teufel gehören. Doch 24 Jahre Wollust sind wohl eher eine einschüchternde Perspektive: Kaum hat Faustus den Pakt mit seinem Blut besiegelt, da blicken böse schon ein paar Teufelchen mit Furcht erregenden Masken hinter dem riesigen roten Vorgang hervor. Davor sitzt in einem eisernen Gehäuse – halb Vogelkäfig, halb Gartenlaube – der aufmüpfige Gelehrte. Er wollte Gott die Stirn bieten. Nun merkt er, dass dies kein Zuckerschlecken ist.

Mit kräftigen, deftigen Bildern erzählt das Theater „Ton und Kirschen“ nun die Geschichte, bis Dr. Faustus schließlich kratzfüßige und schrecklich maskierte Teufel holen und in den lodernden Flammen einer Theaterhölle verschwinden lassen. Marlowes „Dr. Faustus“ ist inzwischen die achte Produktion des Theaters, das seit 1992 existiert. Bis dahin waren die beiden Prinzipalen Margarete Biereye und David Johnston mit dem englischen Wandertheater „Footsbarn Travelling Theatre“ zwanzig Jahre lang durch die Welt gerreist. Dabei glänzt David Johnston im „Dr. Faustus“ gleich in mehreren schrägen kleinen Rollen: am schönsten als der uralte Papst, eine herzzerreißend komische Woityła-Karrikatur, die mit römischen Spaghetti und dem dazugehörigen Besteck und den Tücken des Alters kämpft.

Anfang der 90er-Jahre erbte Margarete Biereye eine Wiese im brandenburgischen Glindow. Dort haben beide dann ihr eigenes Wandertheater gegründet, mit dem sie inzwischen auch schon bis nach Indien, Australien und Kolumbien kamen. 1998 gewannen sie den angesehenen Förderpreis der Darstellenden Kunst der Berliner Akademie der Künste.

Geld hat die international zusammengewürfelte Truppe nie, deswegen gibt es auch bloß eine Produktion im Jahr. Im nächsten Jahr hat man sich bei „Ton und Kirschen“ die Bakchen des Euripides vorgenommen. Dann wird das Theater wieder in die Wohnwagen gepackt. Es wird landauf, landab die Fußgängerzonen in mittelalterliche Marktplätze verwandeln. Wird Theater spielen, als sei das Theaterspielen gerade erst erfunden worden.

Bis zum 19. August, jeweils 21 Uhr, auf dem Mariannenplatz. Karten unter: 8 22 22 81

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