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Polizeichefs geschasst, Beweise weg

Erste Konsequenzen nach den Polizeiprügeln in Genua: Drei verantwortliche Polizeichefs müssen gehen. Doch Italiens Innenminister Scajola klammert sich an sein Amt. Wichtige Beweise für die Polizeiübergriffe sind plötzlich verschwunden

ROM dpa/ap ■ Zwei Wochen nach den blutigen Polizeiübergriffen und Zusammenstößen in Genua hat der italienische Innenminister Claudio Scajola drei Polizeichefs abgesetzt. Sie seien verantwortlich dafür, dass es beim Polizeieinsatz gegen Globalisierungskritiker zu schweren Fehlern und grundloser Gewalt gekommen war. Kommentatoren in Rom sprachen gestern von einem „beispiellosen Erdbeben“, das die Grundfesten der Sicherheitsbehörden erschüttere.

Nach Scajolas Entscheidung vom Donnerstagabend müssen vorerst Antiterrorismus-Chef Arnaldo La Barbera (59), der Polizeipräsident von Genua, Francesco Colucci (58), und Ansoino Andreassi (61), Nummer zwei der italienischen Polizei, den Hut nehmen. Sie sollen andere Aufgaben erhalten.

Doch der Verdacht, hier handele es sich lediglich um ein Bauernopfern, beherrscht die italienischen Medien. „Kann es sein, dass die Verantwortung für die Vorfälle in Genua wirklich bei diesen drei Funktionären liegt und womöglich bei anderen geringeren Dienstgrades“, fragt die renommierte Zeitung La Stampa: „Es sei erlaubt zu zweifeln.“ Hinter vorgehaltener Hand wird gemunkelt, an den Obersten der Polizei, De Gennaro, wage sich niemand heran. Er habe mächtige Freunde sowohl bei der Linken als auch in der regierenden Mitte-Rechts-Koalition.

Ein Polizist, der in Genua bei einem Telefonat mit dem Polizeichef anwesend war, sagt: „De Gennaro war auf dem Laufenden, er hat grünes Licht gegeben.“ Und auch der geschasste Polizeichef von Genua wehrt sich gegen die alleinige Verantwortung: „Ich war nur der Vollstrecker von Anweisungen, die von oben kamen“, verteidigt sich Colucci. „Entschieden hat ausschließlich Rom: über die Einsatzkräfte, die Vorgehensweisen und die Zeitpunkte des Einschreitens.“ Ein Polizeigewerkschafter pflichtet ihm bei: „Geht es um die öffentliche Sicherheit, so geschieht nichts, was der Politiker nicht will.“

Ministerpräsident Silvio Berlusconi hielt sich in diesen Tagen seltsam bedeckt. Sein Vertrauensmann Scajola wies Forderungen nach seinem Rücktritt energisch zurück – und siegte ebenso erwartungsgemäß wie deutlich bei einer Vertrauensabstimmung. „Der Einzige, der für Genua nicht zahlt, ist der Innenminister“, wettert die Linke.

Scajola überstand am Mittwoch ein Misstrauensvotum im Senat. Medienberichten zufolge diskutierte er tagelang mit dem nationalen Polizeichef Gianni De Gennaro darüber, wer die Verantwortung für den Einsatz übernehmen solle.

Der Corriere della Sera berichtete gestern unter Berufung auf die ermittelnden Staatsanwälte, dass Filme aus den Überwachungskameras verschwunden sind. Sie sollten als Beweismaterial eingesetzt werden. Per Videokamera wurden sowohl die Proteste auf der Straße als auch die nächtliche Durchsuchung in einer Unterkunft der Demonstranten aufgezeichnet. „In den Kameras fehlen die Kassetten, die Bänder sind unauffindbar.“

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