: Massaker bleibt ungesühnt
In der Elfenbeinküste sind acht Gendarmen vom Vorwurf freigesprochen worden, 57 Menschen umgebracht zu haben. Jetzt ermittelt Belgiens Justiz in der Sache weiter
BERLIN taz ■ Ungleicher konnte ein Gerichtsverfahren nicht sein. Auf der einen Seite acht Gendarmen, die selbstbewusst im Kampfanzug auftraten, mit dem Kinosaal einer Gendarmeriekaserne als Gerichtssaal und den eigenen uniformierten Kollegen als lautstark anfeuerndem Publikum auf den Zuhörerbänken. Auf der anderen Seite zwei Überlebende eines Polizeimassakers, die sich angesichts der feindlichen Kulisse nicht aufzutreten trauten, dazu ein paar als Angehörige von Opfern, die als Nebenkläger nicht zugelassen waren und zu Prozessbeginn draußen vor der Tür mit Tränengas abgedrängt wurden. Unter solchen grotesken Umständen fand in Abidjan, der größten Stadt der Elfenbeinküste, der Prozess wegen der 57 Toten des Massakers von Yopougon statt, das im Oktober 2000 weltweit Aufsehen erregte (siehe Kasten).
Da Menschenrechtsorganisationen inzwischen wegen dieses Massakers gegen Staatschef Laurent Gbagbo und zwei seiner Minister Klage in Belgien eingereicht haben, wäre ein korrekter Ablauf des Prozesses gegen die mutmaßlichen Täter, der am 24. Juli vor dem Militärgericht von Agban begann, ziemlich wichtig für das Ansehen der Elfenbeinküste gewesen. Zudem veröffentlichte am 20. Juli eine UN-Kommission einen Untersuchungsbericht, in dem festgestellt wurde, die Täterschaft der Gendarmerie beim Tod der 57 stehe „außer Frage“. Minutiös wird rekonstruiert, was am 26. Oktober in der Kaserne Abobo nach dem Bekanntwerden des Todes eines Gendarmen passierte: Gefangene Angehörige der Dioula-Ethnie, die für Gendarmerie und Anhänger des frisch gewählten Präsidenten Gbagbo als Feinde galten, wurden gefoltert, aus der Kaserne abtransportiert und in eine Grube geworfen, wobei einige in der Kaserne erschossen wurden und andere erst am Ort des Massengrabes (kompletter Bericht: www.un.org/french/hr/ivory.htm).
Doch vor dem Militärgericht kamen diese Vorgänge so gut wie gar nicht zur Sprache. Die acht angeklagten Gendarmen wiesen sämtliche Anklagepunkte komplett zurück. Der Militärstaatsanwalt, der die Anklage vertrat, bot lediglich Zeugen auf, die nichts mitbekommen hatten. So trat am Mittwoch eine Angestellte eines Leichenhauses auf und wurde vom Richter gefragt: „Haben Sie dem Gericht etwas über das Massengrab von Yopougon mitzuteilen?“ Ihre Antwort: „Nein.“ Das Publikum aus Polizisten grölte vor Lachen.
Aber die wirklichen Augenzeugen waren nicht da. Militärrichter Delly Sepleu hatte zu Beginn des Verfahrens alle Nebenkläger außer einem zurückgewiesen, und dieser – ein Überlebender des Massakers – verzichtete daraufhin aus Sicherheitsgründen auf die weitere Teilnahme am Verfahren.
„Wenn man Ameisen kritisieren will, setzt man sich dazu nicht auf einen Ameisenhaufen“, sagte Anwalt Mory Fanny, Vertreter der nicht zugelassenen Nebenkläger, über das komplett unter Kontrolle der Gendarmerie abgehaltene Verfahren. Gerüchte gingen um, wonach die Gendarmerie, die Präsident Gbagbo letztes Jahr per Meuterei an die Macht getragen hatte, ein gegen sie gerichtetes Urteil nicht hinnehmen werde. Am Donnerstag plädierte die Anklage auf lebenslange Haft – die Höchststrafe – und die Verteidigung auf Freispruch.
Gestern Nachmittag sprach Richter Sepleu sein Urteil: Nicht schuldig. Der Gerichtssaal voller Polizisten explodierte in Jubel. Dass Sepleu präzisierte, die Angeklagten seien „nicht schuldig mangels Beweisen“ und es seien viele Dinge „im Dunkeln“ geblieben, interessierte niemanden. Nun wird die belgische Justiz die Aufarbeitung des Massakers von Yopougon fortsetzen, und die Elfenbeinküste wird sich darüber kaum beschweren können.
DOMINIC JOHNSON
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