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Bedarfsware Ausländer

Schilys Einwanderungsgesetz markiert keinen historischen Bruch. Das alte „Gastarbeitersystem“ wird nur an die Bedingungen der „Deutschland GmbH“ angepasst

Was Integration ist, entscheiden die Einheimischen – ein Teufelskreis, der Einwan derer draußen hält

Selbst die allgegenwärtigen Veteranen der Schützengräben von „68“ sind heute jederzeit bereit, der Bundesrepublik Deutschland Pluralismus und „Weltoffenheit“ zu bescheinigen. Ein Blick auf die Liste der Innenminister der letzten 20 Jahre zeigt freilich ein anderes Bild: Zimmermann, Seiters, Schäuble, Kanther, Schily. Insofern war auch kaum damit zu rechnen, dass die ganzen Sprechblasen über die „Offenheit“ Deutschlands irgendeinen Niederschlag im Entwurf des „Zuwanderungsgesetzes“ finden würden. Dennoch äußern sich die Vertreter der Parteien fast alle zufrieden. Liberale Kommentatoren wie Heribert Prantl kriegen sich vor lauter Begeisterung kaum noch ein – der vorige Freitag, an dem Schily sein Papier vorstellte, hat für ihn gar etwas von „Maueröffnung“. Tatsächlich jedoch haben wir es mit wenig mehr zu tun als mit der kaum bemäntelten Neuauflage des „Gastarbeitersystems“ der Sechzigerjahre. Wie viel Zuwanderung benötigt wird? „Die Antwort weiß ganz allein der Markt“, meint der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Max Stadler. Das war schon über die Gastarbeiter zu hören, doch in den modernen Zeiten der neoliberalen Marktanbetung klingt es viel fortschrittlicher. Und in Sachen Einwanderung trifft ja bekanntlich die politisch bedeutungslose FDP die letzten Entscheidungen: Schon der „Kompromiss“ bei der lächerlichen Staatsbürgerschaftsreform ging auf ihr Konto.

Zwar hat man in Deutschland vierzig Jahre lang alle Konsequenzen der Migration erfolgreich verdrängt, aber seitdem Rot-Grün an der Regierung ist, macht die Nation zumindest semantisch den großen Sprung nach vorn. Die zunächst beabsichtigten Änderungen bei der Staatsbürgerschaft wurden als „Jahrhundertreform“ verkauft und jetzt bekommen wir angeblich „das modernste Einwanderungsrecht Europas“.

Bescheidenheit ist nicht zu erwarten. Bereits im Bericht der Süssmuth-Kommission wurde Einwanderungspolitik unter dem Blickwinkel der internationalen Konkurrenz gesehen: Einwanderung sei nötig, konnte man in der Einleitung lesen, damit Deutschland im „globalen Wettbewerb“ seinen Platz „unter den führenden Ländern behaupten oder wieder zurückgewinnen kann“. Neben „Weltoffenheit“ braucht man dazu auch etwas Antirassismus: „Das Bild Deutschlands im Ausland muss weiter verbessert werden. Einer Verhinderung fremdenfeindlicher Übergriffe [. . .] kommt hierbei große Bedeutung zu.“

Als der Bericht erschien, wurden solche Aspirationen nur milde kritisiert. Zum einen befürchtet die linksliberale Öffentlichkeit jederzeit ein Debakel wie in Hessen und ist daher stets zum Minimalkonsens bereit. Zum anderen genießt Rita Süssmuth große Glaubwürdigkeit. Sie wirkte erwartungsgemäß beschwichtigend – und das, obwohl die Professorin bekanntlich eine gehorsame Parteisoldatin ist. Da sich Schilys Entwurf weitgehender als zunächst erwartet an den Vorschlägen der korporatistisch zusammengesetzten Kommission orientiert, hält man sich mit Tadel wiederum zurück. Doch wo ist der „große Schritt“, von dem Heribert Prantl redet? Zweifelsohne wird durch die anstehenden Änderungen das Ausländergesetz vereinfacht: Anstatt fünf Aufenthaltstiteln wird es nur noch zwei geben. Doch das ändert überhaupt nichts an der Tatsache, dass es weiterhin nur darum geht, Arbeitskräfte befristet ins Land zu holen – früher hießen sie „Gastarbeiter“, jetzt „Zuwanderer“. Als besonders fortschrittlich wird das „Punktesystem“ gefeiert, das zu einer dauerhaften Niederlassung berechtigen soll. Doch worin besteht die Verbesserung? Ein Wechsel im Aufenthaltsstatus war auch vorher möglich – wie schon daran zu erkennen ist, dass Millionen von Ausländern hier leben, die eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzen. Vor allem aber ist völlig unklar, ob die Neuregelung die Beamtenwillkür und den Kontrollwahn beseitigen kann. Das Ausländergesetz bleibt für Migranten erste Instanz – de facto unterstehen alle Personen nichtdeutscher Herkunft weiterhin einer Sondergesetzgebung. Sie sind auch künftig in erster Linie ein Verwaltungsproblem.

Die „Verleihung bestimmter Rechte“ wie der Staatsbürgerschaft soll laut Süssmuth-Kommission weiterhin am Ende eines Integrationsprozesses stehen. Was dies heißen soll, das sagt das Schily-Papier nur in Bezug auf Neueinwanderer – die sollen „Integrationskurse“ besuchen. Ein übergreifendes Konzept für alle hier lebenden Einwanderer wird an die noch zu gründende Bundesbehörde für Migration verwiesen. Wie das dann aussehen wird, kann man den Interviews und Erklärungen entnehmen, die der Innenminister im Vorfeld gegeben hat. Er schwadronierte über „Integrationskapazitäten“ und konstruierte Skalen kultureller Nähe wie in den Siebzigerjahren: Bei den „EU-Ausländern“ ist alles prima, meinte er etwa gegenüber dem Spiegel, aber es gebe schon „da und dort ein Problem im Bereich der türkischen Mitbürger“. Zwar hat die Kommission „gesellschaftliche Teilhabe“ als Ziel der Integrationsbemühungen bezeichnet, doch diese Teilhabe wird erst bei Abschluss der Integration gewährt. Was gelungene Integration bedeutet, darüber wollen auch in Zukunft die Einheimischen entscheiden – der bekannte Teufelskreis, der Einwanderer draußen hält.

Auch künftig unterstehen alle Personen nichtdeutscher Herkunft einer Sondergesetzgebung

Tatsächlich markiert dieses Papier keinen historischen Bruch, sondern zeigt, dass dieses Land überhaupt nicht zu Änderungen bereit ist. „Wettbewerbsfähigkeit sichern“ will Schily mit dem „modernen“ Einwanderungsrecht. „Ziel arbeitsmarktbezogener Zuwanderung“, schrieb die Kommission, „muss es sein, zu Wohlstand, sozialer Sicherheit, und sozialem Frieden langfristig beizutragen.“ Deutlicher kann man kaum sagen, dass die Regelungen lediglich das „Gastarbeitersystem“ an die Bedingungen der „Deutschland GmbH“ anpassen sollen: Den „Bedarf“ an „Ausländern“ regelt der Markt; von Demokratie ist keine Rede. Der Blick auf Menschen ist rein technokratisch und instrumentell: Sie gelten nicht als Subjekte, sondern werden als schiere Arbeitskraft betrachtet. Hierzulande sprechen selbst die Berichte der Ausländerbeauftragten von Migranten als „Ausländerbestand“.

Änderungen können offenbar nur von woanders kommen. Mehr und mehr bestimmt die EU „von oben“: Während die Bundesrepublik noch über das Höchstalter für den Familiennachzug debattiert – Schily will es von 16 auf 12 Jahre senken –, liegt diese Entscheidung ohnehin bei der EU, die die weitaus liberalere Regelung von 18 Jahren vorsieht. Doch den eigentlichen Wandel werden die Migranten durch zunehmendes Engagement „von unten“ selbst erzwingen müssen. Gerade für junge Leute wird es immer unerträglicher, in Deutschland aufgewachsen zu sein und zu leben und trotzdem nur unter dem Aspekt der Nützlichkeit betrachtet zu werden. Bald werden auch die Migranten begriffen haben, dass politische Unzufriedenheit von der Medienöffentlichkeit vor allem dann wahrgenommen wird, wenn die Akteure ihr einen gewissen Nachdruck verleihen – mit Gewalt. MARK TERKESSIDIS

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