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„Hände hoch oder ich schieße!“

Einige Polizisten aus dem Wedding haben vorgemacht, was bei der Berliner Polizei ab dem kommenden Jahr Usus sein soll: das situationsbedingte Eigensicherungstraining bei der Schießausbildung. Die lebenswichtigen Organe der verfolgten Papptäter sollen dabei auch nicht getroffen werden

Der Schießstand der Polizei in der Weddinger Pankstraße sieht aus wie ein Partykeller von Halbstarken. Decke und Mauern sind schallgedämmt. Abgesehen von zwei Mülltonnen und den grellbunten Graffiti an den Stellwänden ist der Raum nahezu kahl. Spätestens beim Blick auf die Zielscheibe mit den beiden lebensgroßen Männersilhouetten ist jedoch klar, dass hier alles andere als gefeiert wird.

In der Pankstraße werden jährlich rund 4.000 Polizisten im Schießen fortgebildet. Im Gegensatz zu den anderen Schießanlagen der Polizei geht es hier aber nicht um stumpfsinniges, statisches Zielen und Schießen, sondern um situationsbedingtes Eigensicherungstraining.

Auf dem Programm stehen heute Partnerübungen. Zwei Beamte in Kampfanzügen und Schutzwesten nehmen mit gezogener Waffe vor einem Ausbilder Aufstellung. Um die Situation möglichst einsatznah zu gestalten, wird der Raum abgedunkelt. Ein an der Decke hängendes kreisendes Blaulicht taucht ihn in gespenstisches Licht. Aus einem Kassettenrecorder dröhnen Martinshorn und Straßenlärm. „Stellen Sie sich vor, ein Kapitalverbrechen ist geschehen“, hebt Ausbilder Joachim Ewald an. „Der Täter ist flüchtig und mit einer Schusswaffe bewaffnet“. Ewald geht das mögliche Szenario Schritt für Schritt durch.

Oberste Devise bei jedem Einsatz sei die Eigensicherung: „Also grundsätzlich Deckung bewahren.“ Wichtig sei, dass sich die Kollegen vorher genauestens absprächen: „Ich gehe vor. Du drohst die Schussabgabe an“, erklärt Ewald. Dann brüllte er so laut los, dass alle zusammenzucken: „Halt Polizei. Stehen bleiben. Hände hoch. Waffe nieder oder ich schieße.“

Im zuckenden Blaulicht arbeiten sich die Beamten von Stellwand zu Stellwand durch den Raum. An den Mülltonnen wird es ernst: „Halt Polizei...“, ruft einer der beiden. Dann knallt es laut. „Stehen bleiben.“ Wieder kracht es, dass selbst unter dem Kopfhörer die Ohren dröhnen. Ein Blick auf die Papptäter stellt den Ausbilder zufrieden: Die Löcher befinden sich in den Oberschenkeln, lebenswichtige Organe wurden nicht getroffen.

Bei der nächsten Übung ist es vollkommen dunkel. Das einzige Hilfsmittel ist eine Taschenlampe. Ewald demonstriert, dass man mit überkreuzten Händen gleichzeitig Lampe und Pistole halten und auch noch treffen kann. Diesmal wird eine Notwehrlage simuliert. Dass heißt, der bewaffnete Täter greift die Beamten an. Zur Abwehr eines „gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriffs“ darf ohne Vorwarnung geschossen werden. Bevor sie den Abzugshahn betätigen, müssen die Beamten mehrmals von einer Seite zur anderen hechten. Auch diesmal stellt das Trefferbild den Ausbilder zufrieden. Die schwarze Silhouette weist im Herz- und Halsbereich Löcher auf. Bei Kampfunfähigkeit des Täters mahnt Ewald: „Nicht sinnlos herumfeuern. Wir wollen ihn nicht vollfüllen mit Blei.“

Einer der beiden Trainingsteilnehmer ist Polizeioberkommissar. Auch nach 21 Dienstjahren sei er beim Schießen immer noch aufgeregt, sagt Bernd Leichsenring. Dass er zur Waffe greifen musste, hat er in seinem Berufsleben bisher nur einmal erlebt. Das war nach einem Einbruch auf einem dunklen Gelände. Plötzlich habe sich von der Hauswand ein Schatten gelöst, der sich auf Zuruf des Losungswortes aber als Zivilbeamter entpuppte. Die Berliner Polizeiangehörigen haben ein einheitliches Losungswort, das jeden Tag geändert wird.

Ein Schießtraining unter echten Einsatzbedingungen wird in der Pankstraße bereits seit Anfang 1999 simuliert. Weil die öffentlichen Kassen leer sind, musste man sich jeden Nagel in Eigeninitiative organisieren. „Wir leben technisch im Steinzeitalter“, sagt Polizeihauptkommissar Hans Joachim Hinz, der für das Projekt verantwortlich zeichnet. Das Blaulicht wurde aus einem ausrangierten Polizeifahrzeug ausgebaut, die Stereoanlage hat ein Beamter gestiftet. Die Graffiti wurden von einem Sprayer-Jugendprojekt an die Wände gesprüht. Die Staatsanwaltschaft stellte beschlagnahmte Spraydosen. Das Gemäldeensemble soll einen Berliner Hinterhof darstellen.

Als die Bilder montiert waren, griff einer der Jugendlichen in einem unbeobachten Moment noch einmal zur Dose und schrieb den „Bullen“ noch schnell an die Wand: „Ficken, Kacken, Spritzen – und alles im Sitzen.“ Anders wäre dieser Satz nicht durch die Zensur gekommen, sagt Hinz. Aber da er nun einmal da sei, habe man beschlossen, ihn stehen zu lassen.

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