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: Steuerhinterziehung leicht gemacht mit Thoreau

Unschuldige Dollars

1848, in den Wäldern von Massachussetts, unweit von Sleepy Hollow. Henry David Thoreau, ein junger Lehrer ausgerechnet, zahlt keine Steuern, weil er den Krieg gegen Mexiko nicht mitfinanzieren und seine Regierung nicht unterstützen will, die sich als Teil einer Union versteht, in der ein Sechstel der Bevölkerung rechtlos und versklavt ist und die zugleich überall herumposaunt, sie sei der absolute Hort der Freiheit. Thoreau wird verhaftet und ins Gefängnis gesteckt. Wundersamerweise nur für einen Tag und eine Nacht (Guter Anwalt? Oder hat Thoreau fix nachgezahlt?). Danach schreibt er ein berühmt gewordenes Manifest „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“.

Zur selben Zeit missglückt im Deutschen Bund eine Revolution: Der deutsche Einheitsstaat scheitert, damit auch die Modernisierung in Gestalt der parlamentarischen Monarchie, einer Verfassung, der Etablierung der Menschenrechte. Bis die großen Stunden des preußisch-deutschen Leviathans nicht nur in den Theorien megalomaner Pro-patria-Philosophen klappern, sondern in der Praxis schlagen, dauert es noch ein Weilchen. Gegen einen wie Thoreau, der fordert, dass der Staat sich niemals über das freie Individuum stellen darf, hätten auch liberale preußische Lehrer argumentiert, dass nur ein starker Staat die Freiheit des Individuums gewährleisten kann. 19. Jahrhundert eben.

Alles lange her. Inzwischen kann man Thoreau 71 Minuten lang auf CD hören, CD wie Civil Disobedience, mit smarter Semi-Heiserkeit gelesen von Christian Brückner. Und inzwischen heißt es, dass auch die Staaten wieder an Macht verlieren, wenngleich kaum aufgrund zivilen Ungehorsams mündiger Individuen.

Nichtsdestotrotz muss man diesen Machtverlust doch eigentlich gut finden, wenigstens dann, wenn man Staaten historisch korrekt und durchaus mit Thoreau betrachtet als Repräsentanten und Exekutanten von Nationalismus, Militarismus, Autorität und Unterdrückung: danke, Wirtschaft, merci, libéralisme, thanks, globalization!

So unkte Herr Reinecke, Ex-Weltbänker und Direktor des Global Public Policy Project, vor drei Monaten glaubhaft im Transparenz-Magazin brandeins, dass die multinationalen Unternehmen bald netzwerkelnde Wohlfahrtsausschüsse (er nennt sie flotter: NGOs) berufen werden, die die demokratisch legitimierten Restregierungen beraten sollen. Ob denn diese NGOs ihrerseits demokratisch legitimiert seien? Nein, aber mit dem „heutigen Standard real praktizierter Demokratie auf internationaler Ebene“ könnten „Netzwerke im Wettbewerb locker mithalten“.

Tja, das sitzt. Da wird einem der gute alte Vater Staat nachgerade wieder sympathisch. Und außerdem: Ziviler Ungehorsam – ich weiß gar nicht, wie das geht. Wenn man sich beispielsweise gegen prügelnde Polizisten wehrt, wirft man die Mollis dann nicht auf die falschen, nämlich auf die Schützer des demokratisch legitimierten Staates, der uns seinerseits vor der multinationalen Dollardiktatur beschützen kann? Müsste man nicht begeisterter Steuern zahlen denn je?

Thoreaus Welt sah angenehm einfach aus, vergleichsweise. Wie die meisten anständigen Intellektuellen war er Humanist, nicht Antikapitalist. Der Dollar selbst sei unschuldig, fand er, das Problem jedoch bloß, dass Regierungen dazu neigten, ihn von den Untertanen einzukassieren, um Gewehre davon zu kaufen. Daraus wiederum resultiere die staatsbürgerliche Pflicht, zuerst sein Gewissen zu befragen: Kann ich einen solchen Deal gutheißen? Muss ich mich dem nicht entziehen?

Der Steuerhinterzieher als heroisches Korrektiv finsterer Staatsabsichten – schön wärs, besonders solidarisch klingt es nicht. Trotzdem ist der freiheitsliebende Staatsbürger Thoreau eine Referenz für Tierschutzaktivisten, Electrohippies und Hörhelferinnen geblieben, die die Welt nicht für die beste ever halten und finden, dass es ganz so aussieht, als gäbe es verdammt gute Gründe, sowohl gegen die Prügeldemokratie als auch gegen den vor lauter Unschuld starken Dollar zu sein. Natürlich rein gewissenmäßig. EVA BEHRENDT

Henry David Thoreau: „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“. Übersetzung: Walter E. Richartz, Sprecher: Christian Brückner. Edition parlando politik, 29,90 DM