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Die Ehrlichkeit der Erleuchteten

Seit nunmehr drei Wochen prangert eine Mahnwache gegenüber der chinesischen Botschaft die Verfolgung von Falun-Gong-Anhängern in China an. Doch auch in Berlin werden die Spirituellen, die hauptsächlich meditieren, bereits als Sekte eingestuft

Falun Gong verstärkt göttliche Kräfte – meint die Informationszeitung

Von KIRSTEN KÜPPERS

Da stehen sich also Gut und Böse gegenüber, getrennt von einer viel befahrenen Straße. Das Böse ist ein breiter Gebäuderiegel mit abweisender metallischer Fassade, eingefasst von einem hohen Zaun. Das Gute ist bloß ein Provisorium, von dem leichte Meditationsmusik herüberweht, ein schmaler Stand mit Flugbättern und einer Plastikplane drum herum. Dass die friedlichen Aktivisten von Falun Gong mit ihrer Mahnwache hier als die Guten gegen eine böse Übermacht kämpfen, das zeigen sie deutlich: „Mehr als 256 Falun Gong Praktizierende zu Tode gefoltert“, klagt ihr Transparent an. Am Brückengeländer sind Tafeln befestigt, die von weiteren ungeheuerlichen Grausamkeiten berichten: „Vergewaltigung auf offener Straße in Peking“ oder „Junge Frau lebendig in Leichenhalle“.

Vor über drei Wochen haben sich die Falun-Gong-Anhänger mit ihrer Mahnwache an der Jannowitzbrücke gegenüber der Repräsentanz ihrer Unterdrücker, der chinesischen Botschaft, postiert. Bis zum Termin der offiziellen Einweihung der noch im Bau befindlichen Vertretung im September wollen die Aktivisten weiter ausharren. Die Fotos von den Opfern schützen Plastikhüllen, der Blumenschmuck ist aus Kunststoff.

„Die Situation der Falun Gong Praktizierenden in China hat sich drastisch verschärft“, erklärt Wolfgang Gumpold, selbst „Praktizierender“, den Grund für die Mahnwache. Augenzeugen hätten davon berichtet, das Internet liefere Information. Der 35-jährige arbeitslose Architekt fordert darum: „Der Westen muss endlich energisch werden. Mahnende Worte reichen nicht mehr aus.“

Zum Aufrütteln schickt Teilnehmerin Yi-Wang Hemmelgarn deshalb auch jeden Tag eine Art Tagebuchbrief an Bundeskanzler Gerhard Schröder. „Sagen Sie bitte für die Ermordeten aufrichtige Worte“, schreibt sie zum Beispiel. Oder: „Heute früh um fünf Uhr wollte ein deutscher Junge Falun Gong lernen. Er konnte sofort den Doppellotossitz richtig nachmachen.“ Die Chinesin ist eigens aus ihrem derzeitigen Wohnort Bayreuth für die Mahnwache angereist. Eine Antwort von der Bundesregierung hat sie indes noch nicht erhalten. Auch eine Petition der Prostestierer an den chinesischen Botschafter verlief bislang erfolglos. „Keine Gesprächsbereitschaft“, heißt es von der gegenüber liegenden Straßenseite, erzählt Wolfgang Gumpold.

Trotz all dieser Bemühungen will sich Falun Gong keinesfalls als politische Bewegung verstanden wissen. Wenn die Volksrepublik sie nicht vor zwei Jahren als „bösen Kult“ verboten hätte, wäre die Bewegung in der ganzen Welt gar nicht so bekannt, glaubt Gumpold. Schließlich handele es sich bei der mittlerweile angeblich rund hundert Millionen Anhänger zählenden spirituellen Bewegung um eine unschuldige „Meditationspraxis für Körper und Geist mit dem Bestreben nach Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit, Nachsicht“. So steht es auch in der ausliegenden Informationszeitung. Falun Gong sei eine buddhistisch geprägte „Kultivierungsmethode“, bestehend aus fünf Qi-Gong-Übungen, die „Körper und Geist harmonisieren und sich positiv auf die Gesundheit auswirken“. Vor dem Verbot pflegten sich in China jeden Morgen bei Tagesanbruch Fabrikangestellte, Studenten, Manager und Arbeiter in aller Stille auf Plätzen und in Parks zu den Übungen zu versammeln.

Obgleich das Ausland die menschenverachtenden Repressionen der chinesischen Regierung gegen Falun Gong verurteilt, bestehen jedoch auch Zweifel an der Harmlosigkeit der Meditationsbewegung. Der ausgeprägte Kult um den inzwischen in New York lebenden Führer Li Hongzhi gebe Falun Gong sektenähnliche Züge, sagen Experten. Die Bewegung vertrete eine rigide Ideologie und berge zumindest für labile Menschen potenzielle Gefahren. Der Duisburger Sinologe Thomas Heberer spricht von einem „sektiererischen Bewusstsein, das ein geschlossenes System von Auserwählten suggeriert“, zudem schreibe der charismatische Führer Li sich selbst übernatürliche Kräfte zu. Auch Thomas Gandow vom Pfarramt für „Sekten und Weltanschauungsfragen der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg“ warnt: „Es handelt sich bei Falun Gong um einen Kult, der inzwischen auch hierzulande familiäre und soziale Probleme hervorruft.“

Der Praktizierende Wolfgang Gumpold möchte das Wort „Sekte“ im Zusammenhang mit Falun Gong dagegen keinesfalls in der Zeitung lesen. Die chinesische Regierung könnte sich damit „in ihrer Politik nur bestätigt“ fühlen. „Außerdem zwingt mich niemand hier zu etwas. Es gibt keine Mitgliederlisten, alles ist kostenlos.“ Seine blaue Augen strahlen die Ehrlichkeit eines Erleuchteten aus. Seit er die Übungen macht, braucht er weniger Schlaf, hat er vorher erzählt.

Neben ihm hat sich inzwischen ein Asiate auf einer blauen Kunststoffmatte niedergelassen. Mit geschlossenen Augen ruht er in Meditation versunken. Auf der Straße rauscht der Verkehr. Den vorüberhastenden Passanten fliegen vom Wind die Haare hoch. Mittwochs, donnerstags und sonntags macht Wolfgang Gumpold seine Übungen im Volkspark Friedrichshain. Interessenten seien willkommen, sagt er sanft. Seinen Worten hängt ein seltsam schwebendes Lächeln nach. Falun Gong verstärkt göttliche Kräfte, meint die Informationszeitung.

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