: Schöne Ferien in Gefahr
Kinderfreizeiten am Wannsee könnten dieses Jahr zum letzten Mal stattfinden. Bezirke wollen bei Erholungsaufenthalten von Kindern massiv Geld sparen. SPD-Fraktionschef Müller: Das geht so nicht
von RICHARD ROTHERund SILKE KATENKAMP
Ein paar Kinder spielen Volleyball, andere toben zwischen den Holzhütten herum, und etwas abseits im Gestrüpp spielen einige Räuber und Gendarm – Tempelhofer Kinderferien auf Schwanenwerder am Wannsee. Doch die Idylle trügt, und SPD-Fraktionschef Michael Müller schlägt Alarm: „Die Gelder für die Kinderbetreuung sollen möglicherweise gestrichen werden“, sagte Müller gestern, der auch SPD-Bezirkschef von Tempelhof-Schöneberg ist. „Das darf aber nicht sein.“
Jörg Knackendöffel ist sauer. „Wo sollen die Kinder denn sonst hin?“ Der Leiter der Tempeldorfer Kinderfreizeit hält gerade zwei Fünfjährige auf dem Arm. Obwohl Tempelhof-Schöneberg nicht zu den ärmsten Bezirken gehört, sei die Nachfrage nach der Kinderfreizeit sehr groß. „Innerhalb von zwei Wochen war dieses Jahr alles ausgebucht.“ In zwei Durchgängen betreuen acht Erzieher jeweils etwa 50 Kinder rund um die Uhr.
Für die Eltern ist das Kinderferienlager sehr günstig: mindestens 60 Mark, aber höchstens 260 Mark kostet die 14-tägige Kinderbespaßung. Auch in Zeiten knapper Kassen müsse man diese Standards wenigstens halten, fordert SPD-Fraktionschef Müller. Schließlich betrügen die Betreungskosten nur rund 20.000 Mark. Wenn der Bezirk das Geld nicht habe, müsse er versuchen, die Kosten umzuschichten.
Detlef Große, stellvertretender Leiter der Jugendförderung in Tempelhof-Schöneberg, blieb gestern dennoch hart. Im nächsten Jahr werde der Bezirk wahrscheinlich keine Mittel für solche Maßnahmen zur Verfügung stellen können. „Die Globalmittel, die der Senat dem Bezirk zur Verfügung stellt, reichen vorne und hinten nicht“, begründet er diesen Schritt. Der Jugendhilfeausschuss des Bezirks habe deshalb beschlossen, die Gelder für die Kindererholung im Sommer zu streichen. Weiterhin gefördert werden lediglich die so genannten kontinuierlichen Maßnahmen – wie etwa Jugendheime, die das ganze Jahr über betrieben werden.
Am Wannsee brennt auch ein paar Buchten weiter die Luft, obwohl die Sonne sich nur sporadisch blicken lässt. „Wir wissen nicht, wie es im nächsten Jahr weitergeht“, sagt Wilfried Schwarz, Geschäftsführer des „Hauses am Wannsee“, das alljährlich Kinderfreizeiten für Kreuzberger und Friedrichshainer Kinder und Jugendliche ausrichtet. Während die Kinder bunte T-Shirts bedrucken, im Seewasser planschen oder frischen Pflaumenkuchen backen, sorgt sich die Betreuer-Crew um die Zukunft. Für die drei Wochen Kinderbetreuung erhalten die zumeist studentischen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen allerdings kaum mehr als 2.000 Mark. Teamleiter Schwarz: „Die Chancen stehen fifty-fifty, dass es weitergeht.“ Innerhalb von fünf Jahren habe der Bezirk die gesamten Erholungsmittel für Kinder und Jugendliche von 1,7 Millionen auf 400.000 Mark reduziert.
Die Erholungsaufenthalte und -reisen von Kindern und Jugendlichen werden den zuständigen Stellen in den Bezirken dabei offenbar immer lästiger. Im Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg habe man regelrecht versucht, die diesjährige Kinderfreizeit zu unterminieren, berichtet die Mutter einer Friedrichshainer Teilnehmerin. „Die haben das gar nicht öffentlich bekannt gemacht.“ Als sie gezielt nach der Kinderfreizeit gefragt habe, hieß es, alles sei schon ausgebucht. Ein paar Wochen vor Beginn der Maßnahme hätten dann plötzlich nicht genügend Anmeldungen vorgelegen. „Die versuchen, mit allen Tricks bei den Armen zu sparen, während korrupte Bankmanager Millionen verschleudern.“
Die Mittel für die Jugendfreizeitförderung sind in der Stadt in den vergangenen Jahren kontinuierlich reduziert worden. Insgesamt seien die gemeinsamen Ausgaben für Erholungsmaßnahmen für öffentliche und freie Träger der Bezirke mit der Senatsjugendverwaltung in den letzten drei Jahren um etwa 28 Prozent reduziert worden, so Eberhard Landwehr von der Jugendverwaltung.
Bei den öffentlichen Trägern beliefen sich Ausgabekürzungen sogar auf 37 Prozent. So standen dafür 1999 etwa 1,656 Millionen Mark zur Verfügung, mit denen rund 32.000 Berliner Kinder und Jugendliche Urlaub machen konnten. 2001 belief sich diese Summe nur noch auf 1,041 Millionen Mark. Folglich stehen auch weniger Plätze zur Verfügung. Landwehr: „Die Nachfrage nach Erholungsplätzen im Grünen bleibt aber nach wie vor hoch.“
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