: Politiker spielen Politik
Aus einem Computerspiel von Studenten ist eine Spielweise für die digitale Simulation der deutschen Politik geworden. Das gefällt jetzt auch den Politikern, die einen realen Wahlkampf führen wollen
von ANGELIKA HOFFMANN
Die Kindersendung „Rappelkiste“ gibt es schon lange nicht mehr. Dafür aber eine Partei, die sich Rappelkistenpartei nennt, kurz RKP. Sie will nicht die Kinder an die Macht bringen, sondern eine „moderne linke Partei abseits von real existierenden Parteien“ sein. Bisher existiert sie aber auch abseits vom realen politischen Leben: Sie nimmt an einer Politiksimulation teil, die sich „democracy online today“ (www.dol2day.de) nennt.
Ein Internetprojekt, das Neuland betritt, denn erfolgreiche Simulationen gibt es bislang ausschließlich im naturwissenschaftlichen Bereich. Dol2day will ein Experiment am politisch interessierten Netzbürger sein. Vor gut einem Jahr hatten fünf Aachener Studenten das Programm als Spiel konzipiert. Heute ist daraus mit 10.000 registrierten Nutzern die größte Polit-Community im deutschsprachigen Web geworden und hat Kultstatus erlangt – sie wurde unter anderem für den Grimme-Online-Award nominiert.
Inhaltlich orientiert sich dol2day am System der Bundesrepublik Deutschland und versteht sich als Medizin gegen die Politikverdrossenheit. Die Teilnehmerzahl ist unbegrenzt. Mitglied kann werden, wer über einen Internetzugang verfügt. Die Teilnahme ist kostenlos. Vordergründiges Ziel ist: so viel Bimbes wie möglich anzuhäufen. Bimbes, die Währung von dol2day, ist ein Indikator für Macht und Position innerhalb der Internetgemeinde. Korruption ist bei diesem Spiel jedoch ausgeschlossen. Der Bimbes muss mit politischen Konzepten, Teilnahmen an Abstimmungen oder Diskussionsrunden redlich verdient werden. Wer im Lauf seiner politischen Onlinekarriere genug zusammengerafft hat, kann als Kanzlerkandidat sein Glück versuchen. Ein Wahlsieg fördert zweifellos das Ego, doch der tiefere Sinn des Spiels ist es, einen öffentlichen Raum für gesellschaftliche Themen und Utopien anzubieten, eine gemeinsame Plattform für Parteianhänger, Wichtigtuer, Provokateure, Politikmüde und Weltverbesserer.
Aber nur zum „Volk“ zu gehören gilt als langweilig. Auch wenn das Geld nicht aus der schwarzen Kasse kommt, empfiehlt sich der Anschluss an eine bestehende oder die Gründung einer neuen Partei. Es gibt beispielsweise die CIP, deren Parolen und Zielsetzungen stark an denen der CDU orientiert sind. „Es gibt viele Gründe, stolz auf Deutschland zu sein. CIP.“ Die Leitkulturdebatte scheint hier noch kein Ende gefunden zu haben. Ein wenig aktueller wird die CIP, wenn sie den Berliner Bürgermeisterkandidaten Frank Steffel unterstützt. „Legalize it“ wäre möglicherweise auch eine für das Berliner Bau- und Bankenwesen passende Parole, doch sie ist von einer anderen Partei reserviert: Dort hört man das Gras wachsen, missverständlicher die „Sexi-Partei“: Hinter dem Kürzel steht die „Symbolisch-existentialistische Initiative“, die etwas umständlich die „Beendigung der religiösen Ruhigstellung des freien Geistes“ fordert.
Keine Extremisten
Ob Jean-Paul Sartre daran Spaß gehabt hätte? Der Freiheit, zu der wir in seinem Geiste verdammt sind, setzt die Simulation gewisse Grenzen. Allzu radikale und extremistische Äußerungen und Parteiprogramme sind nicht willkommen. Liberaler gehen die Simulatoren mit jenen berühmten Sachthemen um, über die Politiker umso lieber reden, je weniger sie davon verstehen. So können die Nutzer hier über das beste Hefeweizen abstimmen oder ihre Meinung zu „Kennst du die Sommersorten von Müller-Milch?“ kundtun.
Realistischerweise lassen sich auch damit Bimbespunkte sammeln. Wäre es dann aber nicht doch sinnvoller, auf dem guten alten Monopoly-Brett seinen Reibach mit der Schlossallee zu machen? Der Gießener Politikwissenschaftler Christoph Bieber meint: „Wenn sich mehr als 10.000 Menschen für eine Politiksimulation registrieren, ist das sinnvoll genug.“ Seiner Meinung nach ist das Politikspiel kein digitales Üben, da viele Nutzer auch im richtigen Leben politisch aktiv seien und bei dol2day nur ein zusätzliches Betätigungsfeld fänden.
Bei der Rappelkistenpartei sind Zweifel erlaubt. Von den seit Mai 2000 registrierten Nutzern sind nur etwa 150 aktiv geblieben. In den Chaträumen sucht man vergeblich nach politischen Gegnern oder Gleichgesinnten. Vielleicht macht auch die Politik im Netz kurz Sommerpause? Für den August hat sich Laurenz Meyer zum Chat bei der CIP angemeldet. Das Thema der Diskussion ist offen. Tatsächlich bestimmt wird es aber wohl nicht durch die Nutzergemeinschft, Auch Meyer wird sich die Gelegenheit nicht nehmen lassen, in den Berliner Wahlkampf auch hier einzusteigen. Besonders glücklich ist Bieber darüber nicht. „Ursprünglich hatte die Simulation die reale Politik gar nicht so sehr im Blick – aufgrund der vielen positiven Reaktionen seitens der Parteien und Politiker ist dol2day sehr viel politischer geworden als beabsichtigt. Die Wahrnehmung, dass die Online-Community Einfluss auf die realen Politikprozesse ausüben kann, ist durch die vielen Umarmungen von Politik, aber auch der Medien gestärkt worden.“
Reale Gesetzentwürfe
Politiker-Chats allerdings sind mittlerweile out. Die neue Umarmung heißt „virtuelles Interview“ und wird schon auf den Seiten mancher realen Parteien angeboten – mit festgelegtem Thema und Moderation. Für Markus Beckedahl, Geschäftsführer des „Netzwerks Neue Medien“, eine den Grünen nahe stehende Initiative, ist dol2day nur eine „Spielwiese“, die schnell an Reiz verloren hat. „Mündige Netzbürger“ meint er, müssten sich der Politik nicht erst „spielerisch nähern“. Allerdings müsse auch „die Politik Strukturen schaffen, an denen sich jeder Bürger beteiligen kann“.
Ein Beispiel dafür sei die Initiative des Bundestags unter www.e-demokratie.de. Unter dieser Adresse sollen reale Gesetzentwürfe diskutiert werden. Ein anspruchsvoller, wenn auch später Versuch, Regierungspolitik transparenter zu machen. Unabhängig von solchen offiziellen Plattformen sind politische Foren im Usenet nämlich schon seit Jahren aktiv – und werden von kompenten Fachleuten genutzt. Eher in diesem Rahmen als in Simulationsspielen scheint der Traum von einer antiken Polis im Netz weiterzuleben.
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