piwik no script img

Meide die Popkultur!

Popstar vom Sperrmüll: Mit „Sonnendeck“ gelang PeterLicht ein Überraschungshit. Wer sich hinter dem Namen verbirgt, weiß nur der Musiker. Der Öffentlichkeit setzt er einen blauen Bürostuhl vor

von MARTIN WEBER

Über den Mann kursieren zurzeit allerhand Mutmaßungen. Inder soll er sein. Möglicherweise aber auch Schweizer. Oder Wahl-Kölner. Wenn nicht gar von Beruf eigentlich Werbetexter. Klar ist im Moment nur eines: dass der Künstler unter dem Namen „PeterLicht“ firmiert und seit Wochen mit „Sonnendeck“, einem Popsong mit elektronischen Elementen, die Republik erfreut. „Wenn ich nicht hier bin, bin ich aufm Sonnendeck / oder im Solarium oder am Radar“, singt PeterLicht. Das ist charmant, das ist schön – aber auch seltsam. Denn „Sonnendeck“ erschien bereits im vergangenen Sommer auf dem Kleinlabel „Betrug“, wurde in einer Auflage von 1.500 Stück auf eine Vinyl-EP gepresst und unter dem Titel „6 Lieder“ veröffentlicht. Von einem gewissen Meinrad Jungblut. Mittlerweile, nach nur gut einem Jahr, hat eine ebenso große wie fixe Plattenfirma den Musiker, der jetzt als PeterLicht unterwegs ist, gezeichnet – und auf der neuen Version des Albums sind nunmehr 14 Lieder. PeterLicht spielt weiterhin Verstecken. Das eigene Gesicht wahren, indem man es nicht herzeigt. Ähnlich wie ehedem Kiss, so wie heute noch Daft Punk oder die Residents.

„Och ja, Kiss“, sagt PeterLicht mit seiner sehr schönen, warmen Stimme. „Jo, die Residents . . . hmmm. Von denen könnte ich mir auch mal die Köpfe leihen. Aber ihre echten. Obwohl: is’ dann auch ne Sauerei. Für mich und für die.“ PeterLicht ist am Telefon. Gestaltete sich die Anbahnung des Gesprächs noch komplex bis kompliziert, so ist jetzt alles leicht. Weil PeterLicht talentiert den Reserve-Helge-Schneider gibt und anscheinend Babbelwasser inhaliert hat. „Die Wege der Popkultur sind seltsam“, summt er in den Hörer, und sagt zum Verwirrspiel um seine Identität: „Ich finde Personen in diesem Zusammenhang unwichtig. Musik hört man, es geht also um Ohren, und nicht um Augen. Für mich ist Musik eine Sache, die im privaten Rahmen entsteht. Wenn ich damit an die Öffentlichkeit gehe, soll die Musik auch alles sagen.“

Dass diese Sätze im Kontext von Pop, womöglich gar Popkultur, nicht gerade schlüssig sind, ficht PeterLicht nicht an. „Ich kann diesen Bruch nicht wirklich erklären, aber das macht nichts. Ich will auch gar nicht logisch sein . . . ich kann, also ich find einfach, dass . . .“ PeterLichts Ausführungen versanden sehr gekonnt, wahrscheinlich war er auch schon mal deutscher Meister im Produzieren von Ellipsen. Jede neue Frage wird als potenzielle Flucht vor der nächsten Antwort genutzt. PeterLicht nimmt deren letzten Teil konsequent wieder auf und hat hörbar Spaß. „Was das ‚Sonnendeck‘ bei mir auslöst? Ja, ich kann es immer noch hören. Es gefällt mir, wie ich’s gemacht habe, aber es geht auch auf eine Reise, und dann sollen sich andere ihren Reim drauf machen. Ach so, ja die Frage – ,Sonnendeck‘ ist ein schöner, positiv besetzter Begriff. Ich denke da an Weite, an Rauskommen, an Freiheit und auch an Glamourmäßiges, so mit gepflegten Getränken den Tag weglümmeln.“

Fassbarer als der Künstler selbst sind der Sound und die humorverbeulten Texte, die auf „Lieder“ zu hören sind. Die Klang-Hängematte von PeterLicht lässt sich prima in einem Garten aufhängen, der zwischen dem Grundstück des sehr jungen Andreas Dorau und dem des unverschämt gut aussehenden Rocko Schamoni liegt – und die Texte sind mal schlaumeiernd, mal auf sehr kontrollierte Weise skurril, vor allem aber immer eins: gut ausgedacht.

„Meide die Popkultur“ zum Beispiel. „Das ist eine Meide- und zugleich auch eine Liebeserklärung“, sagt PeterLicht. „Wenn ich singe ‚Meide die Bilder von Menschen, die auf Paradewagen tanzen‘, liegt die Betonung auf ‚Bilder‘. Wir leben ja Gott sei Dank in einem ständigen Spannungsfeld, also gibt es auch verschiedene Wahrheiten. Im Grunde ist Popkultur aber eine schöne Sache. Love Parade auch. Und Eltern – was wären wir ohne sie . . . sonst könnten wir ja jetzt gar nicht telefonieren.“ Wohl wahr. Und von bestechender Logik.

Nichts als die Wahrheit ist übrigens auch, dass PeterLicht derzeit wohl nichts wäre ohne einen leicht vergammelten, blau bezogenen Bürostuhl. Den lässt er in Fernsehstudios karren, die Moderatoren halten dem Sitzmöbel dann ein Mikro zwischen die Armlehnen, und PeterLicht antwortet derweil über Telefon. „PeterLicht, das ist der Popstar vom Sperrmüll. Der, dessen Lieblingssport natürlich Sitzfußball ist. Aber nur alleine. Ich ertrag es nicht, wenn andere Leute gewinnen. Wenn ich alleine spiele, siege ich immer.“ Da haben wir’s endlich: PeterLicht ist der einsame Sitzfußballer aus dem Äther. Und zweifellos ein Hoffnungsträger für kluge Popmusik mit elektronischen Momenten. Der auch noch das Instrument beherrscht, das George Harrison besser nie in die Finger bekommen hätte: die Sitar. „Haste Zeit?“, fragt er – und dann beginnt das Telefonkonzert auch schon. „Wir sind jung und wir machen uns Sorgen über unsere Chancen auf dem Arbeitsmarkt und unser berufliches Fortkommen, denn später wollen wir uns ja auch einmal was leisten können“, singt PeterLicht. „Kunst ist schön – Alltag ist schöner“, steht im Booklet von „6 Lieder“.

PeterLicht: „Lieder“. (Modul/BMG)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen