: Ordentlich, formschön und wartungsarm
Die letzte Mauergeneration, seit 1976 aufgestellt, sollte „Zwischenfälle“ verhindern und für „vorbildliche Sauberkeit“ im Grenzbereich sorgen
Merkwürdige Szenen spielten sich im Sommer 1975 auf den Truppenübungsplätzen bei Straganz und Neu Zittau ab. Fluchtversuche mit Lastkraftwagen wurden simuliert oder Anschläge auf die Mauer aus dem Westen. Der Sinn des Experiments: Die gewonnenen Erkenntnisse wollte die DDR nutzen, um die Grenzanlagen zur Bundesrepublik und zu Westberlin auszubauen und zu perfektionieren. Die Verantwortlichen wollten die Grenze noch besser abschotten als bisher, zugleich aber ihren abstoßenden Charakter verwischen. Oberstes Ziel: Es sollte möglichst wenig „Zwischenfälle“ geben.
Das Ergebnis war die „Grenzmauer 75“, ein Meisterwerk der DDR-Grenztechnik, die im Westen als „Mauer der vierten Generation“ bekannt wurde. Sie war 2,40 bis 3,60 Meter hoch und wurde aus fugenlosen Betonsegmenten zusammengesetzt, die 1,20 Meter breit und 15 Zentimeter dick waren. Das Überklettern mit Leitern oder anderen Hilfsmitteln wurde durch ein aufgesetztes Asbestrohr von 40 Zentimetern Durchmesser erheblich erschwert.
1976 wurde in Berlin an der innerstädtischen Grenze mit der Aufstellung der Grenzmauer 75 etappenweise begonnen. 45.000 der Betonsegmente wurden bis 1989 rings um West-Berlin verbaut, zum offiziellen Stückpreis von 359 DDR-Mark. Diese Segmente prägten weltweit das Bild von der Grenze.
Seit Ende der Siebzigerjahre war die Errichtung der Grenzmauer 75 das zentrale Projekt beim „pioniertechnischen“ Ausbau der Grenzanlagen. Im Richtlinien-Befehl 101 des Verteidigungsministeriums aus dem Jahr 1979 hieß es: „An der Staatsgrenze zu [. . .] Westberlin sind die vorhandenen Mauerruinen abzureißen, in dem den Sperranlagen vorgelagerten Abschnitt eine vorbildliche Ordnung und Sauberkeit herzustellen und die Errichtung der Sperrmauer 75 planmäßig fortzusetzen“. In einem offiziellen Dokument beschrieb der Kommandeur der Grenztruppen, Klaus-Dieter Baumgarten, die neue Mauer als „wartungsarm und formschön“.
Während in Berlin die Mauer das Symbol der deutschen Teilung darstellte, waren dies entlang der 1.378 Kilometer langen innerdeutschen Grenze die über 600 Beobachtungstürme. Es handelte sich um runde und pilzförmige Betontürme vom Typ BT-11, die elf Meter hoch waren und bei Sturm geräumt werden mussten, weil sie nicht stabil genug gebaut waren. In den Achtzigerjahren wurde eine neue Generation Beobachtungsposten aufgestellt: etwas niedriger, rechteckig mit einer Grundfläche von zwei oder vier Metern im Quadrat. Die Türme standen fast alle in unmittelbarer Nähe des Grenzzaunes.
Möglichst wenig „Zwischenfälle“, das war auch an dieser Sperranlage die Devise. Nach dem Abbau von Boden- und Splitterminen Mitte der Achtzigerjahre wurde der „Grenzsignal- und Sperrzaun 80“ (GSZ 80) zum wichtigsten Sperrelement. Seine Höhe betrug 2,40 Meter. Die obere Begrenzung bildete ein waagrechter Übersteigschutz aus Stacheldraht.
Auf DDR-Seite („freundwärts“) wurde der Zaun mit 20 Chrom-Nickel-Drähten im Abstand von 10 bis 15 Zentimetern bespannt, die eine Signalfunktion hatten. Befestigt waren die Drähte an Plastikschellen, die auf einen Druck von 4,5 Kilogramm geeicht waren. Die Drähte standen unter Schwachstrom, schaltbar auf 24 oder 60 Volt. War ein Flüchtling bis an diesen Zaun vorgedrungen und berührte er mehrere Drähte gleichzeitig, entstand mit dem menschlichen Körper als Brücke ein Kurzschluss, der in der nächsten Führungsstelle der Grenztruppen den Alarm auslöste.
Am Fuß des Zaunes waren wabenförmige Betonplatten eingelassen, die 40 Zentimeter tief in die Erde reichten. Einmal sollte damit verhindert werden, dass Menschen sich unter dem Zaun durchgraben konnten. Darüber hinaus sollten die Waben kleineren Tieren, die früher häufig Fehlalarme verursacht hatten, eine Möglichkeit zum Durchschlüpfen lassen.
Im Gegensatz zu den Sperranlagen früherer Jahre löste ein Flüchtling am GSZ 80 einen „stillen Alarm“ aus, der bei der Führungsstelle der Grenztruppen registriert wurde. An der alten Grenzanlage waren die „Grenzverletzter“ noch durch akustische oder optische Signale aufgeschreckt worden, wenn sie Alarm auslösten – mit der Folge, dass die herbeigeeilten Grenzsoldaten Probleme hatten, die Fluchtwilligen aufzustöbern und festzunehmen. WOLFGANG GAST
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