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Gefährliche Revolution des Plüschsofas

Wolf Jobst Siedler preist in seinen Erinnerungen preußische Werte und versucht eine Ehrenrettung des Bürgertums

Der Verleger Wolf Jobst Siedler zählt zu den letzten Vertretern einer kultivierten bürgerlichen Welt, die seit 1945 endgültig vergangen, „verweht“, ist. Dies jedenfalls ist der Tenor seiner glänzend geschriebenen Memoiren, die seine Jugend unter Hitler schildern. Der Vater war Konsularbeamter im Kaiserreich, später Jurist, die Mutter Offizierstochter, die Sphäre der Eltern eine bildungsbürgerliche am Rande des Adels, dem man sich halb zugehörig fühlte. Die Eltern bewahrten sich ihre Kultur und Formen auch während der Diktatur, der sie kritisch-distanziert gegenüberstanden. So wuchs Siedler in merkwürdiger Unberührtheit vom Nationalsozialismus auf, der ihm dennoch täglich begegnete. Dies änderte sich schlagartig 1944, als der Internatsschüler und Marinehelfer wegen kritischer Äußerungen festgenommen wurde. Dem Tod entging Siedler nur dank stiller Unterstützung von Offizieren aus dem Widerstand. Auf Verurteilung und Haft folgten Fronteinsatz, Verwundung und Kriegsgefangenschaft, schließlich die Heimkehr ins zerstörte Berlin.

Obwohl die Zeit von 1944 bis 1947 mehr als die Hälfte des Buches ausmacht, beeindruckt weniger die Dramatik der Ereignisse, sondern vielmehr die Wehmut, das Nostalgische der Darstellung. Siedlers Ziel ist letztlich die Ehrenrettung seiner Schicht, die ihm zufolge in einem großen welthistorischen Verhängnis unterging. Tatsächlich sieht er sich und die Seinen immer wieder ganz bewusst durch die Brille der „Vom Winde verweht“-Autorin Margaret Mitchell. Als das Dienstmädchen aufmüpfig wird, weil sich inzwischen die Amerikaner einquartiert haben, verweist es Siedlers Mutter mit geradezu südstaatlerischer Würde wieder auf seinen Platz. Das klingt noch kurios; aber es befremdet, wenn Siedler ausdrücklich gegen die Ergebnisse der Geschichtsforschung behauptet, das gehobene Bürgertum sei gegen die Verführungen Hitlers weitgehend immun geblieben.

Den schon vor 1933 sichtbaren Antisemitismus spielt Siedler herunter. Ein auf Usedom üblicher Spruch aus Weimarer Tagen, „Juden raus aus Zinnowitz, Heringsdorf ist euer Sitz“, sei in etwa so harmlos gewesen wie „Im Winter ist der Pommer noch dümmer als im Sommer“. „Inzwischen ist das alles Geschichte“, schreibt Siedler, „beide verweht, Pommern wie Juden, was würde man geben, sie wiederzuhaben.“ Das ist typisch. Siedler erklärt die Geschichte aus dem Geist der Meteorologie: Winde und Stürme sind es, die ihm seine Metaphern liefern, und als Maßstab für das Ganze müssen die versunkenen Großreiche der Weltgeschichte herhalten. Vor diesem Hintergrund schrumpft Hitler fast zur Episode. Seine kleinbürgerliche „Revolution des Plüschsofas“ jedenfalls konnte den deutschen Eliten ihre Integrität angeblich nicht rauben. Kein Wunder also, dass es ein „Konzessionsschulze“ war, ein Schüler niedriger Herkunft, der Siedler im Internat 1944 verpfiff.

Jahre später, bei seiner Silberhochzeit, versammelte Siedler alte Nazis und gerettete Juden an seiner Tafel; allein die Tischordnung sicherte ein Minimum an Distanz. Einer der wenigen, die die Einladung ablehnten, war der Architekt Georg Heinrichs, der das Märkische Viertel in Berlin baute. Dass einem, der solche Wohnsilos zu verantworten hat, die nötige Noblesse fehlt, erklärt sich beinahe von selbst.

Dennoch täte man Siedler unrecht, würde man in seiner Bewunderung für Aristokratie, Preußentum und bürgerliche Kultur die bloße Apologie sehen. Zu oft spießt er mit bemerkenswertem Scharfblick Dünkel auf, die er eben noch zu teilen schien, zu oft wechselt der verklärende Tonfall ins Satirische, etwa wenn sich Vater und Schwiegervater im zerbombten Berlin gegenseitig durchs Monokel „inspizieren“. Hier offenbart sich die traurige Ironie an Siedlers insgesamt fesselndem Lebensbericht: dass es am Ende relativ egal ist, ob sich aus seiner Welt vielleicht wirklich viele ihre Integrität bewahrten. Denn Würde und kulturelle Überlegenheit waren eben nicht die Waffen, mit denen man den Nazis beikommen konnte. Teils bewusst und teils unbewusst führt uns Siedler eindringlich vor, wie ohnmächtig die deutschen Eliten waren, selbst wenn sie sich von Hitler nicht vereinnahmen ließen. Nicht der Wind ist das eigentlich Tragische, sondern die Tatsache, dass die Werte, die Siedler und den Seinen ihren Führungsanspruch sichern sollten, so wenig taugten, als es wirklich darauf ankam. ANDREW JAMES JOHNSTON

Wolf Jobst Siedler: „Ein Leben wird besichtigt. In der Welt der Eltern“, Siedler Verlag, Berlin 2001, 384 Seiten, 49,90 DM (24,95 €)

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