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Die Mängel des Schily-Papiers

Ein etwas genauerer Blick auf die Vorstellungen des Bundesinnenministers zeigt: Seine „akzeptierende Einwanderungspolitik“ bedarf noch einer erheblichen Nachbesserung

„Wer erwünschtoder unerwünscht ist, richtet sich strikt nach Nutzenerwägungen“

Mitten in der Sommerpause präsentierte der Bundesinnenminister seinen Entwurf für ein neues Zuwanderungsgesetz im Stil eines Illusionskünstlers, der ein Kaninchen aus dem Hut zieht. Auch für den grünen Koalitionspartner handelte es sich um einen Überraschungscoup – eine inhaltliche Vorabstimmung hat es nicht gegeben.

Nach dem ersten öffentlichen Applaus für den angekündigten „Paradigmenwechsel“ von der bisherigen Abschreckungslogik hin zu einer akzeptierenden Zuwanderungspolitik sind inzwischen auch kritische Stimmen zu hören. Denn hinter den wohlklingenden großen Botschaften verbergen sich eine Reihe von kleinlichen Regelungen vor allem im Bereich des humanitären Flüchtlingsrechts und des Aufenthaltsrechts, die dem Ganzen einen zwiespältigen Charakter verleihen.

Unbestritten enthält der ambitionierte Entwurf eine Reihe rechtssystematischer und praktischer Verbesserungen gegenüber dem bisherigen Stand der Dinge. Das gilt insbesondere für die rechtliche Situation von EU-Bürgern, von Flüchtlingen im Rahmen der Genfer Flüchtlingskonvention und von ausländischen Absolventen deutscher Hochschulen. Für hoch qualifizierte ExpertInnen werden die Türen geöffnet. Auch die Einführung des von der Süssmuth-Kommission vorgeschlagenen Punktesystems für Einwanderer sowie der Rechtsanspruch auf Sprach- und Integrationskurse für dauerhaft hier lebende Migranten ist positiv zu bewerten. Allerdings hängt die finanzielle Absicherung dieses Angebots noch völlig in der Luft.

Ebenso unstreitig fällt Schilys Gesetz in einer Vielzahl von Punkten hinter die Empfehlungen der „Unabhängigen Kommission Zuwanderung“ unter Vorsitz von Frau Süssmuth zurück, auch wenn sich der Innenminister lobend auf deren Vorarbeit bezieht. Beispiele:

– Das Nachzugalter für Kinder soll von bisher 16 Jahren in der Regel auf 12 Jahre gesenkt werden. Die Kommission hatte im Einklang mit der vorherrschenden europäischen Praxis und dem Vorrang der Familie eine Erhöhung auf 18 Jahre empfohlen. Diesen Vorschlag macht sich das Innenministerium nur für die Kinder der „Hochqualifizierten“ zu eigen. Damit wird ein nach sozialen Grenzlinien verlaufendes Zwei-Klassen-Recht in der Migrationspolitik eingeführt.

– Diese soziale Selektion wird auch im Aufenthaltsrecht fortgeführt: Hochqualifizierte können ein sofortiges (unbefristetes) Niederlassungsrecht erhalten, während das Fußvolk der Arbeitsmigranten auf eine befristete Aufenthaltserlaubnis verwiesen bleibt, die sogar bei einer Änderung der Arbeitsmarktlage vorzeitig widerrufen werden kann.

– In Deutschland aufgewachsene Jugendliche mit einem ausländischen Pass sollen weiterhin abgeschoben werden können, wenn sie straffällig geworden sind.

– Dem Vorschlag, hier lebenden ausländischen Jugendlichen unabhängig von ihrem aufenthaltsrechtlichen Status den Zugang zu schulischer und beruflicher Ausbildung zu öffnen, wird nicht gefolgt.

– Ebenso wenig gibt es Verbesserungen für die Opfer nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung.

– Auch die Abschaffung des bisherigen prekären Duldungsstatus für Flüchtlinge, die nicht Asyl erhalten oder auf der Basis der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt werden, ist zwiespältig, da ihr kein garantierter Schutzstatus für alle Flüchtlinge, die in ihrem Herkunftsland Gefahren für Leben und Freiheit ausgesetzt sind, entspricht. Hier bleibt es bei einer großen Grauzone des Ermessens statt mehr Rechtssicherheit.

– Die Schutzlücken im Flüchtlingsrecht können auch nicht durch das Angebot an Kirchen und humanitäre Organisationen kompensiert werden, ein zahlenmäßig noch zu fixierendes Kontingent von „Härtefallen“ auf eigene Kosten im Land halten zu können, zumal der aufenthalts- und arbeitsrechtliche Status dieser Flüchtlinge offen bleibt.

– Soziale und humanitäre Verbesserungen für „Illegale“ bleiben ein Tabu, obwohl vor allem im Bereich der Arbeitsmigration Migranten ohne legalen Status zu einer hunderttausendfachen Realität geworden sind. Ganz im Gegenteil schürt der Gesetzentwurf die Illusion, als könnte mit der Verschärfung repressiver Maßnahmen Zuwanderung komplett gesteuert und alle „Unerwünschten“ aus dem Land entfernt werden.

– Der Gesetzentwurf senkt zwar die Wartezeiten für den Übergang in den unbefristeten Aufenthaltsstatus, erhöht aber die faktischen Hürden auf ein Niveau, das andere Einwanderungsländer nicht einmal beim Erwerb der Staatsbürgerschaft verlangen (kontinuierliche Erwerbstätigkeit, schriftliche Sprachkenntnisse plus staatsbürgerschaftliche Grundkenntnisse). Auch diese Anforderungen werden die soziale Selektion zwischen Oberklasse- und Unterklasse-Migranten verstärken.

„Der Gesetzentwurf schürt die Illusion, als könnten alle ‚Unerwünschten‘ aus dem Land entfernt werden“

– Die Möglichkeiten regulärer Zuwanderung bleiben eng an den aktuellen Arbeitskräftebedarf gekoppelt, statt einen Korridor qualifizierter, auf Dauer angelegter Zuwanderung zu öffnen, der bereits heute dem langfristigen Bevölkerungsrückgang und der damit verbundenen Überalterung entgegenwirkt.

– Schließlich verlagert der Gesetzentwurf die Entscheidungskompetenzen in der Migrationspolitik stark in die exekutiven Organe, namentlich das neu zu schaffende Bundesamt für Migration und die Arbeitsverwaltung. Dort sollen auch die jährlichen, regional differenzierten Zuwanderungskontingente festgelegt werden – ohne Beteiligung des Bundestags und des Bundesrats.

Unter dem Strich bleibt eine scharfe Differenzierung zwischen „erwünschten“ und „unerwünschten“ Zuwanderern, die strikt nach ökonomischen und fiskalischen Nutzenerwägungen vorgenommen wird. Vorsichtigen Öffnungen für die erste Gruppe (vor allem für die viel beschworenen „Hochqualifizierten“) steht eine ausgeprägt restriktive Grundhaltung gegenüber den „Ungewollten“ gegenüber. Das ist offenbar die Generallinie, auf der ein Kompromiss mit der Union gesucht werden soll. Wie die Reaktion von Stoiber & Co gezeigt hat, ist nicht einmal das sicher – in der Union gibt es nach wie vor einen Flügel, der unter einer Reform des Zuwanderungsrechts nur eine perfektionierte Abwehr von Zuwanderung verstehen will.

Wer sich allerdings von dem neuen Gesetz auch deutliche Verbesserungen im humanitären Flüchtlingsrecht erwartet hat, wird gründlich enttäuscht. Die Gefahr liegt auf der Hand, dass im Zuge der Konsensverhandlungen mit den unionsgeführten Bundesländern hier die Schraube noch weiter angedreht wird. Ob es dagegen gelingt, Nachbesserungen bei den humanitären und rechtsstaatlichen Regelungen durchzusetzen, hängt nicht nur vom politischen Geschick der Grünen ab, sondern vor allem von den Reaktionen der kritischen Öffentlichkeit. RALF FÜCKS

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