: Das große Genueser Beweis-Puzzle
In Genua Verhaftete werfen der italienischen Polizei vor, Beweisstücke zu manipulieren. 16 Deutsche noch in Haft. Bundesregierung erwägt EU-Beschwerde wegen Einreisesperre für freigelassene Gipfel-Demonstranten
BERLIN taz ■ Ein mysteriöser Bankstempel, ein Sack Steine, schwarze Kleidungsstücke und Eisenstangen – diese und andere Gegenstände sollen als Beweisstücke gegen die noch inhaftierten Gipfel-Demonstranten von Genua herhalten. Doch die italienische Polizei hat ein Problem: Sie kann auch vier Wochen nach dem G-8-Gipfel die Beweisstücke nicht zuordnen. Haben Polizisten deshalb zu unlauteren Mitteln gegriffen, um zu verhindern, dass weitere Verhaftete aus Mangel an Beweisen freigelassen werden müssen?
Zur Zeit sitzen noch 16 Deutsche in Italien im Gefängnis. Für zehn von ihnen steht nach einem Haftprüfungstermin vom Sonntag fest, dass sie auch die nächsten zwei Wochen hinter Gittern bleiben werden. Die übrigen Fälle werden heute geprüft. Einer der Verhafteten ist Victor A. aus Berlin. Er behauptet, dass Polizisten von ihm verlangt hätten, Gegenstände anzufassen, die ihm nicht gehören. Darunter sei ein Stempel aus einer Bank gewesen, die bei den Gipfel-Krawallen verwüstet wurde. Victor A. weigerte sich, das Corpus Delicti mit seinen Fingerabdrücken zu versehen. Gut für ihn, denn sonst hätte er wegen Bankraubs angeklagt werden können. Auch eine ihm vorgelegte Eisenstange und schwarze Kleidungsstücke berührte er nicht.
Der Bankstempel wurde anschließend einem anderen Inhaftierten mit derselben Aufforderung vorgelegt, berichtet A. Ihm werde hingegen nun vorgeworfen, er habe zwar nicht den Stempel, wohl aber einen Sack Steine bei sich gehabt, als er verhaftet wurde – zwei Tage nach der Demo, in einer Telefonzelle. Auch Mandanten des Bremer Rechtsanwalts Jan Syrig gaben an, sie seien aufgefordert worden, Beweisstücke in die Hand zu nehmen. Italienische Medien berichten außerdem von einer Gruppe Finnen, die von der Polizei gezwungen worden seien, schwarze Kleidung anzuziehen. Polizisten auf willkürlicher Beweisjagd? Der Schluss liegt nahe, denn ohne Verurteilte wird es der Polizei noch schwerer fallen, ihr brutales Vorgehen bei den Demonstrationen zu rechtfertigen.
Auch der Leipziger Inhaftierte Peter Kunze hält die Beweismittel für „nicht koscher“. Ihm wird Waffenbesitz vorgeworfen. Doch statt der schweren Eisenstange, die ihm die Polizisten immer wieder vorhalten, habe er nur Zeltstangen dabeigehabt, sagt er.
Unterdessen wächst der Druck auf die italienische Polizei mit jedem Tag. Gestern gab es anlässlich des Haftprüfungstermins eine Demonstration gegen die chaotische Arbeit der Polizei. Immer mehr Verhaftete berichten, beschlagnahmte Beweisstücke seien willkürlich aus verschiedenen Säcken zusammen geschüttet worden. Ähnliche Berichte bekam auch der grüne Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele zu hören, als er Ende Juli deutsche Inhaftierte in Genua besuchte. Mindestens sechs Verhafteten schnitten Polizisten Haarbüschel ab. Ob sich dahinter ein Skalp-Ritual oder die Gewinnung von genetischem Identifizierungsmaterial verbirgt, weiß niemand.
Auch bei der Freilassung der ersten deutschen Gipfel-Demonstranten unterliefen den Behörden Pannen: Sie wurden ausgewiesen und an der Grenze irrtümlich mit einer für Nicht-EU-Bürger vorgesehenen Einreisesperre belegt. Jetzt muß jeder, der wieder nach Italien reisen will, einen Antrag stellen. Gegen diesen „fehlerhaften Verwaltungsakt“ erwägt die Bundesregierung nun eine Beschwerde bei der EU-Kommission. YASSIN MUSHARBASH
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