: Ein Drama in Shakespeares Namen
■ Nach Norbert Kentrup verlässt nun auch Mitgründerin Dagmar Papula die Bremer Shakespeare Company. Ensemble und Ehemalige streiten um das Erbe eines bundesweit beachteten Theater-Modellversuchs
Der Streit um das Erbe der Bremer Shakespeare Company (bsc) im Theater am Leibnizplatz droht zu einem lautstarken Drama zu werden. Nach Norbert Kentrup will jetzt auch die Autorin und Schauspielerin Dagmar Papula aus dem Ensemble ausscheiden. Wie die beiden letzten verbliebenen MitgründerInnen des Theaters in einem Brief erklärten, sei „das bundesweit beachtete Schaupieler-Theater-Modell“ am Ende. „Wir haben Anfang des Jahres mit der Hälfte des künstlerischen Ensembles versucht, die künstlerische und politische Idee des Theaters zu retten“, schreibt das Paar und beschuldigt den Vorstand, das verhindert zu haben. Der weilt noch in der Sommerpause und war für eine Stellungnahme gestern nicht zu erreichen.
In diesem Theaterstreit ist die menschliche und ästhetische Ebene aufs engste miteinander vermischt. Wie berichtet ist der langjährige Konflikt um die Person und Theatervision Norbert Kentrups in diesem Jahr eskaliert. Nach erfolglosen Schlichtungsversuchen verschickte das Ensemble kurz vor der Sommerpause eine Erklärung, nach der sich die Company und Kentrup einvernehmlich getrennt hätten. In Kentrups und Papulas Brief hört sich das anders an. Aus der scheinbar nüchternen Auflistung der Vorstandsmitglieder („bestehend aus einer Buchhalterin, eine Organisatorin, einem Schauspieler und einem Techniker“) liest sich böse Kritik, wenn nicht gar Verachtung. Über diesen Brief hinaus, den noch das Logo der Shakespeare-Company ziert, wollte das Paar keine weiteren Erklärungen abgeben und verwies auf eine öffentliche Stellungnahme Ende August.
Dafür meldeten sich andere InsiderInnen zu Wort. „Es ist höchste Zeit, dass Kentrup das Ensemble verlässt“, sagt die Company-Mitgründerin und seit Jahren nicht mehr im Ensemble tätige Schauspielerin Hille Darjes. Sie ist überhaupt nicht einverstanden mit der Kentrup-Glorifizierung in den Medienberichten über den Krach. Bereits sechs Wochen nach Beginn im Jahr 1983 habe der Konflikt angefangen.
Mit Autorität und „Brachialgewalt“ habe Kentrup seine Vorstellungen durchzusetzen versucht. „Es hat unglaublich viel Kraft gekostet, immer zu sagen: ,Nein, Norbert, nein!'“ Sie weiß: „Alle, die gegangen sind, sind wegen Norbert Kentrup gegangen.“ Nicht von ungefähr habe das von ehemaligen Company-Mitgliedern gegründete Theater aus Bremen (TAB) erst wieder im Theater am Leibnizplatz auftreten können, als Kentrup und Papula für ein Jahr in Kanada waren.
Es geht dennoch auch um einen Richtungsstreit. In ihrem Brief nehmen Kentrup und Papula eine Art Alleinvertretung für das Modell Bremer Shakespeare Company in Anspruch. Das Mitte der 80er Jahre von sieben AkteurInnen in den ehemaligen Kammerspielen an der Böttcherstraße gegründete Theater sollte anders sein als die Stadttheater. Und zumindest damals war es das auch. Die Shakespeare-Texte wurden (und werden auch heute noch) selbst übersetzt und durch Aktualisierungen mit mehr oder weniger großer Halbwertszeit angereichert. Bei den Aufführungen ging das Saallicht nicht aus. Das Ensemble rang darum, die „vierte Wand“ zwischen Bühne und Publikum zu durchbrechen und die ZuschauerInnen einzubeziehen. So wurden bereits nach dem Umzug ins Theater am Leibnizplatz mal Männer von Frauen getrennt oder das Publikum bei der vom TAB noch heute gespielten Bremer Fassung des „Wintermärchens“ in Wolle eingesponnen. Auch intern wollte das Company das Theater neu erfinden: Es gab Einheitslohn, und die SchauspielerInnen waren nach einem Jahr Zugehörigkeit unkündbar.
„Das Licht im Zuschauerraum ist nicht nur symbolisch ausgegangen“, schreiben Kentrup und Papula bitter in ihrem Brief. „Bis auf das Label ist fast nichts mehr von dieser Theater-Shakespeare-Vision übrig geblieben.“ Und auch andere Ehemalige bestätigen dies: „Wo Company drauf steht, ist nicht mehr Company drin“, sagt eine, die nicht namentlich genannt werden will. Das Theater sei experimentierfreudiger geworden, verteidigt sie die künstlerischen Neuentwicklungen auf der Bühne und bezeichnet Kentrups Volkstheater-Visionen zwar als wichtig, aber auch schon ausgeleiert. Zugleich werde im Haus derzeit das Einheitslohn-Modell begraben. Auch Hille Darjes räumt ein: „Es ist jetzt ein ganz normales Stadttheater.“
Die von mehreren InsiderInnen als kriegsähnlich bezeichneten Vorgänge hinter den Kulissen des Theaters sind zugleich auch das Ergebnis der Strukturen. Wenn alle Einzelnen ein Vetorecht bei Entscheidungen haben und das Klima vergiftet ist, wirkt sich der Konflikt auch auf das Künstlerische aus. „Im Moment wird produziert, weil produziert werden muss“, sagt ein Mitarbeiter. Offenbar kam die Scheidung nur zustande, weil das Vetorecht geopfert wurde. Dem Vernehmen nach hat die Anti-Kentrup-Fraktion mit Jubelgeschrei reagiert, als daraufhin eine Mehrheit für die Trennung stimmte.
Auffällig am ganzen Theater um das Theater ist, dass es keine Schuldzuweisungen nach außen gibt. Dabei ist ein Auszug aus dem als Provisorium gedachten Theater am Leibnizplatz nicht absehbar. Das Londoner Globe Theatre, das mit seiner Bühne mitten im Publikum als Vorbild für ein eigenes Haus dienen soll, steht als Modell am Leibnizplatz und verstaubt. Bislang vergeblich blieben alle Anstrengungen, doch noch einen schon vor vielen Jahren versprochenen Neubau auf dem Teerhof zu realisieren. Da fällt mehr ins Gewicht, dass der Zuschuss für die Shakespeare Company nicht gekürzt, sondern in diesem Jahr sogar um 200.000 Mark erhöht wurde. „Der Streit wäre auch auf dem Teerhof genauso ausgebrochen“, meint eine Mitarbeiterin.
Ende August wollen Papula und Kentrup ihre Zukunftspläne präsentieren. Laut Brief ist es offen, ob es „in Bremen einen Abbruch oder noch einen Aufbruch geben wird“. Es geistert das Projekt einer Internationalen Shakespeare Akademie zwischen Kentrup/Papula, Kulturbehörde und Hochschule Bremen herum. In der Shakespeare Company selbst hat die Trennung möglicherweise schon in der nächsten Spielzeit Folgen. Für ein Stück über das Globe-Theatre wollen sich mehrere Ehemalige in „ihrem“ ehemaligen Theater wieder zusammenfinden, wenn sie das Geld dafür auftreiben. Dieses Wiedersehen hätte mit Kentrup nicht stattfinden können. Christoph Köster
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