: „Ein Bild des Stillstands wäre gefährlich für die Koalition“
„Sicherheit“ ist ein konservativer Begriff, sagt der Meinungsforscher Manfred Güllner. Das Schlagwort lässt sich mit dem Bild des Modernisierers Schröder nicht vereinbaren
taz: Herr Güllner, die SPD verspricht „Sicherheit im Wandel“. Kommt sie da einem konservativen Grundbedürfnis des deutschen Wählers entgegen?
Manfred Güllner: Überhaupt nicht. Ich weiß nicht, wer bei der SPD auf diesen Slogan gekommen ist. Er entspricht überhaupt nicht dem Bild, das sich die Menschen bei der letzten Bundestagswahl 1998 von Gerhard Schröder gemacht haben. Mir scheint es fast wie ein Korsett, das sich die SPD da anlegt. Sicherheit war lange Zeit ein Synonym für die Politik konservativer Parteien und findet unter ihren Anhängern auch heute noch deutlich mehr Anklang als bei den Anhängern der SPD oder der Bündnisgrünen. Schröder aber wurde vor fast drei Jahren ja gewählt, weil er den Anschub längst notwendiger Reformen ankündigte, die unter einer konservativ-liberalen Regierung nicht mehr durchgesetzt werden konnten.
Rot-Grün hat den Menschen seit 1998 aber Reformen zugemutet.Wäre da eine Drosselung des Tempos nicht doch angebracht?
Die Regierung darf nicht ein Bild des Stillstands vermitteln. Das wäre gefährlich für die Koalition. Als Reformen im Frühjahr 1999 im Chaos der ersten Regierungsmonate nicht zum Zuge kamen, sanken die Werte für die SPD zum Teil dramatisch. Später stiegen sie, zum Teil durch die Konsolidierung der Koalitions- und Regierungsarbeit, zum Teil durch die CDU-Spendenaffäre. Doch immer dann, wenn die SPD mit bestimmten Vorhaben nicht voranzukommen scheint, droht sie abzusacken. Ein Beispiel: Vor der Verabschiedung der Steuerreform im vergangenen Jahr sahen wir die SPD bei 39 Prozent. Nachdem der Bundesrat zugestimmt hatte, stiegen die Werte kurz darauf um 4 Prozentpunkte, und die der Union fielen um dieselben Werte.
Schröder verkündet eine Politik der ruhigen Hand. Verschlechtert er damit seine Situation rund ein Jahr vor der Wahl?
Das kommt darauf an, was man unter diesem Slogan versteht. Wenn Schröder und sein Team meinen, den bisherigen Konsolidierungskurs in der Steuer- und Haushaltspolitik beibehalten zu sollen, finden sie sich in Übereinstimmung mit drei Vierteln der von uns Befragten.
Die Opposition aber spricht ironisch von der zitternden Hand und verlangt das Eingreifen des Staates.
Nur 40 bis 45 Prozent sind derzeit der Ansicht, angesichts der Wirtschaftslage müsse die Steuerreform vorgezogen oder ein Konjunkturprogramm aufgelegt werden.
Also liegt die Koalition richtig mit ihrer Einschätzung, nicht in Hektik ausbrechen zu sollen?
Das wäre auf jeden Fall der falsche Weg. Auch hier hilft ein Blick in unsere Zahlen: Nur 17 Prozent der Befragten schreiben die derzeitige ökonomische Lage der Bundesregierung zu. Es gibt also eine gewachsene Erkenntnis in der Bevölkerung, dass die Globalisierung der Steuerungsfähigkeit nationaler Regierungen Grenzen setzt. Hier muss die SPD ansetzen, in dem sie den Wählern ihre Haltung ständig erklärt. Politik muss kommuniziert werden.
Scharping als Leiter der Programmkommission der SPD hat kürzlich erklärt, das neoliberale Zeitalter sei vorbei.
Ich habe nie den Eindruck gehabt, die SPD laufe Gefahr, zum Fürsprecher einer neoliberalen Politik zu werden. Auch Schröder hat kürzlich noch einmal betont, dass es keine Übernahme US-amerikanischer Modelle geben wird. Insofern ist mir der Verweis Scharpings unklar. Die SPD muss versuchen, mit Schröder eine Optimierung ihres Modernisierungskurses zu erreichen. Mit Sicherheit im Wandel oder durch Wandel wird das nicht zu leisten sein.
Aber fühlen sich viele Wähler nicht durch die enormen gesellschaftlichen Herausforderungen überfordert?
Der Wähler ist manchmal klüger als die Verantwortlichen in der Politik, die glauben, ihm kaum etwas zumuten zu dürfen. Nein, auch hier sind die von uns ermittelten Ergebnisse eindeutig. Nehmen Sie nur das Beispiel der Gesundheitspolitik – 85 Prozent der Befragten halten Reformen im Gesundheitswesen für erforderlich. Es gibt also, aus unserer Sicht, keine Erkenntnisse, dass die jetzige Regierung sich zurücklehnen sollte.
INTERVIEW: SEVERIN WEILAND
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