Nationalliberale ärgern Rexrodt

Nur verrückte „Wellensittiche“ seien sie, scherzt der Spitzenkandidat. Aber die Nationalliberalen in der FDP wollen sich nicht abdrängen lassen und klagen über undemokratische Nominierungen. Heute entscheidet das Bundesschiedsgericht der Partei

von ROBIN ALEXANDER

Das hätte ein richtig schöner Sommer für die Berliner FDP werden können. Die Umfragen sind mit 7 Prozent so gut wie seit Jahren nicht mehr, die Partei präsentiert sich erneuert, ihr Spitzenkandidat scherzt in TV-Talkrunden mit Gregor Gysi. Auf den Herbst freute man sich auch schon: Nach dem hochwahrscheinlichen Wiedereinzug ins Abgeordnetenhaus träumen die Liberalen sogar von einer Senatsbeteiligung. Doch die erhoffte reiche Ernte könnte noch gehörig verhagelt werden.

Das Unwetter kommt aus den eigenen Reihen: FDPler mit deutlich rechtslastigen Positionen, so genannte Nationalliberale, kämpfen vor parteiinternen Gerichten um Einfluss auf die Nominierungen fürs Abgeordnetenhaus. Heute wird vor dem Bundesschiedsgericht der Partei verhandelt.

Für den Spitzenkandidaten Rexrodt ist die Angelegenheit doppelt unangenehm. Erstens: Liberal gesinnte Wähler zweifeln, ob sie mit Stimmen für die FDP nicht auch law-and-order-fixierte Rechtsausleger ins Abgeordnetenhaus schicken. Zweitens: Die FDP gerät in Verdacht, eine Partei zu sein, die es mit der innerpartlichen Demokratie nicht so genau nimmt. Vor dem Bundesschiedsgericht geht es konkret darum, ob ein Gremium zur Nominierung im Bezirk Tempelhof-Schöneberg undemokratisch besetzt wurde.

Strittig ist die Zusammensetzung des Bezirksausschusses, in den sowohl nationalliberale Ortsverbände als auch Ortsverbände auf Parteilinie Delegierte entsenden. Die Anzahl dieser Delegierten wird nach einem komplizierten Verfahren berechnet und hängt von den Beitragsmonaten der Parteimitglieder ab. Im neuen Großbezirk Tempelhof-Schöneberg kam es nach der Zusammenlegung zu einer Art Wettstreit der Mitgliederwerbung zwischen nationalliberalen und mainstream-liberalen Ortsverbänden. Die Mitgliederwerbung der Nationalen sei von der Parteizentrale behindert worden, die Gegenseite hätten hingegen fiktive, tote und aus andern Bezirken umgebuchte Mitglieder geführt, behauptet der Vorsitzende des Ortsverbandes Tempelhof, Roland Gläser. Gläser, ein ausgewiesener Rechter, hält deshalb die Zusammensetzung des Bezirksausschusses für nicht satzungsgemäß und bekam mit dieser Sicht vor dem Landesschiedsgericht der Partei Recht. Im entsprechenden Beschluss finden sich deutliche Worte über den Landesvorstand. Dieser gehe mit der Landessatzung „nach Gutsherrenart um, geprägt von einer dem Liberalismus diametral entgegengesetzten Anschauung von (innerparteilichem) Recht als einer Variablen der Macht, die nach Belieben und Opportunität einzusetzen ist“.

Der Konflikt hat eine lange Vorgeschichte: In den 90er-Jahren hatten die Nationalliberalen für harsche innerparteiliche Konflikte und eine diffuse Außenwahrnehmung der FDP gesorgt. Als die Partei bei den Abgeordnetenhauswahlen 1999 mit 1,8 Prozent in der Bedeutungslosigkeit verschwand, schien sich auch das Interesse führender Rechter wie des ehemaligen Generalbundesanwalts Alexander von Stahl an der Berliner FDP erledigt zu haben. Von Stahl unterstützt zurzeit die Rechtspartei PRO im Hamburger Wahlkampf.

Nachdem die FDP im Zuge von Bankenskandal und Koalitionsbruch in Berlin plötzlich Umfrageergebnisse von deutlich über 5 Prozent erhielt, beruhigte der Landesvorsitzende Günther Rexrodt die Öffentlichkeit, das Problem sei gelöst: „Die Nationalliberalen habe ich domestiziert.“ Die übrig gebliebenen Rechten der Partei seien nicht ernst zu nehmen: „Es gibt immer mal einen verrückten Hund, der durchdreht. Oder auch nur einen Wellensittich.“

Im umstrittenen Bezirk Tempelhof-Schöneberg bewirbt sich die Bezirksvorsitzende Sophie-Charlotte Lenski um den ersten Listenplatz. Die 22-jährige Jurastudentin und frühere Mitarbeiterin der Bundespolitikerin Irmgard Schwätzer genießt das Wohlwollen der Parteiführung, da sie eine junge, weltoffene, „erneuerte“ FDP repräsentiere. Ihr Widersacher Gläser ist ebenfalls jung, steht aber für eine ganz andere FDP. Er selbst bezeichnet sich als Gegner einer weiteren EU-Integration und eines neuen Integrationsgesetzes: „Wir brauchen keine Computer-Inder, solange noch tausende Deutsche arbeitslos sind.“

Parteimitglieder aus Tempelhof-Schöneberg bescheinigen Gläser eine „Rhetorik aus den frühen 40er-Jahren“. Ein Sprecher der Parteiführung nennt ihn „den letzten Mohikaner einer Szene von Unruhestiftern“. Ob Wellensittiche oder Indianer: Unruhe werden die Nationalliberalen in der Berliner FDP auf jeden Fall weiter stiften. Gläser kündigte bereits an, ordentliche Gerichte bemühen zu wollen, sollte ihm das Parteigericht heute nicht Recht geben.