Unabhängigkeit gefährdet

Forscher und medizinische Fachgesellschaften erhalten zunehmend finanzielle Mittel aus der Industrie. Untersuchungen belegen, dass durch die neue Abhängigkeit wissenschaftliche Studien deutlich industriefreundlicher ausfallen

Mehr und mehr Wissenschaftler werden von großen Unternehmen bezahlt

von PHILIPP MIMKES

Da die staatliche Förderung für Wissenschaft und Gesundheits-Aufklärung seit Jahren stagniert, suchen immer mehr Forscher und medizinische Fachgesellschaften die Hilfe großer Unternehmen. In Universitäten und Großkliniken gilt zudem das erfolgreiche Einwerben von Drittmitteln als Beleg für Konkurrenzfähigkeit und Modernität. Untersuchungen belegen jedoch, dass wissenschaftliche Studien deutlich industriefreundlicher ausfallen, wenn die Autoren Zuwendungen der Wirtschaft erhalten. Außerdem häufen sich Vorfälle, bei denen Firmen Einfluss auf Veröffentlichungen nehmen.

Besonders im Pharma-Bereich beeinflussen Artikel in Fachjournalen die Vermarktungschancen neuer Produkte. Medikamente werden häufig mit dem Verweis auf wissenschaftliche Studien beworben. Was die Fachmagazine veröffentlichen, entspricht jedoch häufig nicht den Maßstäben akademischer Arbeit: das renommierte New England Journal of Medicine musste kürzlich einräumen, dass die Autoren von wohlmeinenden Forschungsberichten über neue Pharmazeutika in 19 von 40 Fällen auf der Lohnliste der Firmen standen, deren Medikamente sie prüften. Die Herausgeber entschuldigten sich und kündigten neue Vorschriften für die Offenlegung von Verbindungen zwischen Medizinern und Pharma-Industrie an.

Wohin die Abhängigkeit wissenschaftlicher Forschung führen kann, zeigt ein Beispiel, das das britische Magazin The Lancet kürzlich dokumentierte: Der Mikrobiologe Professor Martin Cormican vom irischen University College Hospital hatte von der Firma Bayer die Zusendung des Wirkstoffs Ciprofloxacin erbeten, um Resistenzentwicklungen gegen Antibiotika zu untersuchen. Das Unternehmen verlangte daraufhin die Unterzeichnung eines Vertrages, nach dem der Forscher eine Veröffentlichung seiner Ergebnisse nur nach schriftlicher Erlaubnis durch die Firma vornehmen dürfe. Cormican, der sich mit einer Beschwerde an die EU-Kommission wandte, will für das Recht kämpfen, auch unliebsame Ergebnisse zu publizieren: „Ich bin besorgt über die Beschränkung wissenschaftlicher Arbeit durch solche Klauseln.“

Um für mehr Transparenz zu sorgen, hat die amerikanische Initiative „Center for Science in the Public Interest“ (CSPI) nun die Finanzierung von Forschern und Fachgesellschaften unter die Lupe genommen. Die Ergebnisse wurden kürzlich im Internet veröffentlicht (www.integrityinscience.org). Michael Jacobson vom CSPI resümiert: „Mehr und mehr Wissenschaftler werden von großen Unternehmen bezahlt, um Forschungsaufträge durchzuführen, auf Pressekonferenzen zu sprechen oder als unabhängige Experten aufzutreten. Häufig kommt es vor, dass weder die betroffenen Forscher noch die Geldgeber die Unterstützung offen legen.“ Das CSPI moniert, dass so Gesundheits- und Umweltpolitik von Forschern beeinflusst werden, deren Unabhängigkeit nicht gegeben ist.

Nach den Ergebnissen des CSPI wird beispielsweise die amerikanische Arthritis Foundation hauptsächlich von den großen Herstellern von Schmerzmitteln finanziert: Aventis, Warner-Lambert, Merck, Boehringer Ingelheim und SmithKline Beecham. Die Firma Rexall durfte gar gegen eine Spende von 350.000 Dollar für das Mittel Osteo Bi-Flex zur Behandlung von Knorpelschäden mit dem Logo der Stiftung werben.

Die American Heart Association und die American Diabetes Association wurden im vergangenen Jahr mit jeweils einer Million Mark von Aventis, Merck, Pfizer und Bayer unterstützt. Die Expertisen beider Vereinigungen haben zum Beispiel für Bayer höchste Priorität, da das Leverkusener Unternehmen Adalat zur Behandlung von Herzerkrankungen sowie Glucobay zur Blutzucker-Senkung verkauft. Beide Präparate sind heftig umstritten, erzielen aber einen Umsatz von jährlich über einer Milliarde Mark. Die Heart Association bedankte sich, indem sie als Herzinfarkt-Prophylaxe als einziges acetylsalicylsäurehaltiges Medikament das Bayer-Präparat empfiehlt, obwohl es zahlreiche Alternativprodukte gibt.

Die National Alliance for the Mentally Ill, die die Interessen von Patienten mit psychischen Störungen vertritt, erhielt in den letzten drei Jahren insgesamt 11 Millionen Dollar von 18 Pharmaunternehmen. Allein Eli Lilly spendete 3 Millionen. Die Alliance for the Prudent Use of Antibiotics (APUA), die Expertisen zur Ausbreitung von Antibiotika-Resistenzen veröffentlicht, wird hingegen von den großen Herstellern von Antiinfektiva finanziert.

Während Organisationen wie die APUA oder die Diabetes Foundation trotz finanzieller Abhängigkeit nicht vollständig „gekauft“ sind und sich mitunter gegen einzelne Produkte ihrer Förderer aussprechen, werden andere Gruppen direkt von der Industrie gegründet und als „unabhängige“ Stimmen vermarktet. Beispiele hierfür sind das Center for Alcohol Policies, das Studien zu Alkohol-Risiken veröffentlicht und hinter dem Großbrauereien wie Heineken, Miller und Foster’s stehen, oder das International Food Information Council, das von Coca-Cola, PepsiCo, Procter & Gamble, General Foods und NutraSweet finanziert wird.

Das Spendenverhalten der Pharmaindustrie in Europa unterscheidet sich kaum von dem in den USA – allerdings existiert hierzulande keine vergleichbare Untersuchung. Bayer sponsert beispielsweise die Deutsche Diabetes-Stiftung, baut Diabetes- Netzwerke auf und lanciert gemeinsam mit dem „Gesundheitsmagazin Praxis“ und Ärzteverbänden Aktionen wie „Messen nach dem Essen“. Bei der Verleihung des Medienpreises für „vorbildliche Berichterstattung zum Thema Diabetes“ mischt der Chemiemulti gleich in der ersten Reihe mit: in der Jury sitzt Bayer-Vorstand Walter Wenniger.

In Zukunft droht aufgrund der immer teureren Verfahren und der gleichzeitigen Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen eine weiter wachsende Abhängigkeit der Wissenschaft von kommerziellen Interessen. Hierdurch steht nicht nur die Glaubwürdigkeit der Pharmaforschung auf dem Spiel, sondern auch die Gesundheit der Patienten: Allein in den USA sterben jährlich mehr als 100.000 Menschen an Nebenwirkungen von Medikamenten. Um den Einfluss der Sponsoren zurückzudrängen, wäre eine gesetzliche Pflicht zur Offenlegung aller Verbindungen zwischen Industrie und Wissenschaft sowie eine verstärkte staatliche Medikamentenaufsicht notwendig.