: Wenn Stevie verschwindet
Über 13.000 Fahrräder wurden voriges Jahr in Hamburg gestohlen. Die Aufklärungsquote ist gering. Polizei rät zu Prävention ■ Von Elke Spanner
Es war, als wäre ein Verwandter gestorben. Als ein Freund jüngst Gesa V. seinen Gemütszustand nach dem Diebstahl seines Fahrrades beschrieb, erklärte sie sich die Theatralik mit seinem Beruf als Schauspieler. Doch dann trat sie eines Tages vor die Hautür, und Stevens war weg.
Stevens war ein Tourenrad, blau, schnell, mit Bügelschloss gesichert und vom ersten richtigen Monatsgehalt gekauft. Das war nicht einfach ein Transportmittel. Stevie war Gesas Weggefährte – gewesen. Bilder schossen ihr durch den Kopf: Damals die Entscheidung, sich ein neues Fahrrad zu gönnen. Die aufwendige Tour durch Radgeschäfte, bis auch wirklich das Richtige gefunden war. Die Ausflüge an die Elbe. Und jedes Mal wieder die Freude, wenn Stevens aus der Werkstatt kam und fuhr wie am ers-ten Tag.
Wenig tröstlich, dass Gesa das gleiche Schicksal wie tausend andere traf: Allein im vorigen Jahr wurden in Hamburg 13.627 Räder geklaut. Nur 503 der Fahrraddiebstähle konnte die Polizei aufklären. Das sind 3,69 Prozent. „Wir schaffen es nicht, bei jedem einzelnen Diebstahl die Nachbarn zu befragen“, sagt Polizeisprecherin Chris-tiane Leven. In der Regel bleibt die Aufklärung deshalb dem Zufall überlassen. Der sieht zumeist so aus, dass das Rad irgendwo unangeschlossen aufgefunden wird.
Wohin die Räder verschwinden – man weiß es nicht. Eher ein Mythos scheint zu sein, dass SerientäterInnen sie in Mengen mit LKWs einsammeln und dann ins Ausland exportieren. „Wir haben keine Erkenntnisse über organisierte Bandenkriminalität“, sagt Leven. Auch Oberstaatsanwalt Rüdiger Bagger geht davon aus, dass die meisten Räder spontan von Junkies geklaut und dann billig weiterveräußert werden.
Bricht der Dieb das Fahrradschloss gewaltsam auf, begeht er einen „schweren Diebstahl“ – für den es mindestens eine Freiheitsstrafe auf Bewährung gibt. Doch auch die KäuferInnen kommen nicht ungeschoren davon, wenn sie mit dem geklauten Fahhrad angetroffen werden: Wer einen Gegenstand so günstig kauft, dass er ihn als Diebesgut hätte erkennen müssen, macht sich wegen Hehlerei strafbar. „Es gibt massenweise derartige Verfahren“, sagt Oberstaatsanwalt Bagger.
Die Polizei rät allen RadlerInnen, die Rahmennummer des Weggefährten zu notieren. Dann kann das Diebesgut zumindest zugeordnet werden, wenn es aufgefunden wird. Auch das Fahrrad von Gesa V. wurde wieder entdeckt – von ihr selbst. Am Tag nach dem Diebstahl blickte sie wehmütig allen blauen Rädern hinterher – bis sie plötzlich vor Stevens stand. Er war an ein Geländer angeschlossen. Die herbeigerufenen Polizei knackte das fremde Schloss mit einem Bolzenschneider – und nahm das Rad dann allerdings mit. Bestimmt einen Monat werde es dauern, erklärten die Beamten, bis das Beweisstück freigegeben wird.
Jetzt war Gesa nicht länger vom Dieb, sondern von der Polizei lahmgelegt. Sie war genervt. Einerseits. Andererseits verspürte sie auch Erleichterung. Denn solange Stevens auf der Revierwache wohnt, beschwichtigte sie sich, ist er zumindest in Sicherheit.
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