piwik no script img

Alt und richtig glücklich

■ 93 Jahre ist die eine Frau, 53 Jahre die andere: Beide lieben ihr Alter, ihre Freiheit, neue Kontakte und vor allem eins: die Volkshochschule, die das alles in ihren Alten-Kursen vermittelt

75 Jahre war Gerda-Maria B. damals alt, als sie die Volkshochschule (VHS) für sich entdeckte. Vorher hatte sie immer nur gearbeitet: Als Sozialpädogogin von morgens bis abends Kinder um sich gehabt. Ab 65 ging das noch zehn Jahre ehrenamtlich so weiter. Aber dann kam das Ende, die Leere. „Ich bin in ein großes Loch gefallen“, erinnert sie sich heute – mit 93.

Klar hatte sich auch Gerda-Maria ursprünglich auf den Ruhestand gefreut. Wollte all das machen, wofür nach der Arbeit früher nie Zeit war: Bücher lesen, „die ganze Literatur nachholen, die ganze Welt bereisen“. Aber auf einmal – als so schrecklich viel Zeit da war –, schien es, als hätte man all das verlernt: Das Lesen, das Reisen. Während den Jahrzehnten knapper Zeit wurde das Bedürfnis irgendwie verschüttet. Und wer wollte schon alt und ganz allein auf Weltreise gehen?

Gerda-Maria ging statt dessen 75jährig zum ersten Mal zur Volkshochschule. Wo es seit nunmehr fast 25 Jahren eine spezielles Programm für Senioren gibt. Und die alte Frau war hingerissen: Sie lernte Gleichgesinnte kennen, alte Leute, die wie sie ohne Beruf nicht weiter wussten, die einsam waren. Sie lernte neue Freunde kennen, in einem Alter, wo Freundschaften nur noch selten geschlossen werden. „Unerhört anregend ist das,“ sagt sie, die auch heute noch einen Literaturkreis besucht.

Auch Marion Renken liebt die VHS. Sie ist 40 Jahre jünger, 53, und darf damit gerade schon in die Senioren-Veranstaltungen. „Altengruppe“ nennt sie die, weil „Senioren oder so was – das klingt doch irgendwie verhübscht“.

Mit den Alten spielt Marion Renken Theater – und erfüllt sich dadurch einen Jugendtraum. Seit sie fünf ist, spielte sie vorm Spiegel. Dann kamen aber Schule und mehrere Berufe. „Den Wunsch Theaterspielen habe ich die ganze Zeit im Herzen geparkt“, sagt Renken. Erst mit 50 war es soweit.

„Jede Frau, die Witwe wird, müsste diese Möglichkeit bei der VHS kennen und wahrnehmen“, finden Gerda-Maria B und Marion Renken. Die Kurse, die Kontakte, die Gespräche sind wiedergewonnene Lebensqualität, begeistert sich Gerda Maria B.: „Ich merke dann nicht mehr, dass ich eigentlich eine Greisin bin.“ Denn bei der VHS spielt das Alter keine Rolle mehr. „Ich war plötzlich wieder Schülerin“, sagt Gerda-Maria B.: „Ich war einfach beglückt, mich wieder melden zu können“, wieder was zu lernen – und zwar für sich selbst.

Jedes Semester macht die VHS für Bremens Alte „eine extra Tür auf“: 200 Kurse für eine mindestens 3.000 Menschen starke Gruppe NutzerInnen, erklärt die zuständie Programm-Chefin Renate Kösling. Computer und Sprachen für Ältere, sind im Angebot. Aber auch Tagesthemen-Runden: Da wird die Buten un Binnen Sendung von gestern diskutiert, der Kommentar in der Zeitung. Meist kommen mehr Frauen zu solchen Kursen: „Männer haben noch andere Orte und Leute, mit denen sie sich treffen können: die frühreren Kollegen, die Skatrunde, der Stammtisch.“

Angefangen hat bei der VHS alles mit ein paar alten Gewerkschafterinnen – 1977 war das. Die Damen wurden in Rente geschickt, „flogen damit aus dem Dach Gewerkschaft raus, und mussten sich also einen neuen Rahmen für ihre Treffen suchen“, erinnert sich Kösling. Die Gewerkschafterinnen fanden schließlich die VHS, und die VHS die Gruppe der Alten.

Das Konzept der Volkshochschule hat sich längst bewährt: Seit 1977 wurden die Sprach-, Computer-, und Gesprächskreise stetig ausgebaut. Die Alten kommen aus zwei Gründen zur VHS, weiß Kösling: Weil sie die Themen reizen und weil sie Kontakt haben wollen. „Dabei kann man alles, was man bei uns lernt, eigentlich auch zuhause lernen.“ Aber dann eben allein, ohne Anregung, ohne Diskussionen und eben komplett ohne Chance auf Kontakte – und da fehlt den Alten meist das entscheidende Etwas.

Für manchen bedeuten die Kurse und Gesprächsrunden schlicht die Möglichkeit, wieder lachen zu können. Andere suchen nach einem Grund morgens aufzustehen, und dann lockt die Kurs-Gemeinschaft schon um neun Uhr.

Richtig heiß geht es manchmal zu in den Themenkreisen. Da wird diskutiert, gestritten, gerungen. Kösling spricht sogar von einem Bedürfnis der Alten, sich wieder mit Themen und Meinungen auseinanderzusetzten. „Vom Alter her hätte da manche Frau meine Mutter sein können, aber mit meiner Mutter hätte ich so nie reden können“, schätzt und lernt auch Mario Renken durch die Diskussion.

Und noch eins kommt immer wieder hoch: Visionen, phantastische Träume, die Lust am Pläne-Schmieden. Manche Gruppen wollten schon Schiffe bauen und auf Reisen gehen. Marion Renkens Theatergruppe spielt inzwischen Lotto. Zehn Millionen Mark brauchen sie, damit wollen sie das alte Wasserwerk kaufen, dort Wohnungen und eine Bühne einrichten – mit Fahrstuhl für die ganz Alten.

Dorothee Krumpipe

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen