: Trend zum Wegwerf-Fummel
Mit dem „Walk of Fashion“ und dem „Großen Q“ macht Berlin in Mode. Doch jenseits hochpreisiger Designerstücke sind Kleider meist ökologisch und somit auch gesundheitlich bedenklich
von TILMAN VON ROHDEN
In der Mode werden die Zyklen immer kürzer. Nicht auf die Kategorien Sommer und Winter, sondern auf das einzelne Event ist die Kleidung abgestimmt. So orderte die Berliner Filiale von H&M für die diesjährige Love Parade grellbunten Flausch mit einer Lebenszeit von kaum mehr als einem Tag. Denn wer will schon den zotteligen After-Rave in Schule oder Beruf tragen.
Die Einmalkleidung lässt sich nur erfolgreich am Markt platzieren, wenn sie allerbilligst ohne Rücksicht auf umweltschonende oder sozialverträgliche Standards produziert worden ist. Das gewandelte Konsumentenverhalten ist nur einer der Gründe, weshalb die Naturtextilbranche in den letzten ein bis anderthalb Jahren „den Bach runtergegangen“ ist, so René Purwin, Berater beim Internationalen Verband für Naturtextilien (IVN). Ein anderer Grund, so heißt es in der Branche, sei das mit der lahmenden Wirtschaft verbundene geringere frei verfügbare Einkommen. Immerhin, so eine Schätzung von Purwin, kostet Öko-Kleidung circa 20 Prozent mehr als konventionelle.
Die Beachtung nachhaltiger Produktionsmethoden ist die Domäne des Versandhandels. Doch deren Bilanz ist ernüchternd: Wichtige Anbieter wie Alb-Natur sind vom Markt verschwunden, Waschbär ist praktisch pleite, Hess-Natur wurde von Neckermann aufgekauft. Auf dem Berliner Markt tummelt sich ein knappes Dutzend Spezialgeschäfte für Öko-Kleidung. Johanna Cochems, Inhaberin des Geschäftes Joco in Tegel, glaubt, dass Berlin damit überbesetzt ist. Denn „den Leuten ist es leider meistens wurscht, was sie tragen“. Das würde sich so lange kaum ändern, bis die Auszeichnung der Kleidung detaillierter sei. „In aller Regel wissen die Käufer nicht, was sie eigentlich auf der Haut tragen. Wüssten Sie es, würden sie sich in vielen Fällen anders verhalten“, gibt sich Cochems überzeugt.
Um Naturtextilien weiter zu verbreiten, hat sie kürzlich mit Gleichgesinnten die Initiative Naturtextil gegründet. Noch dominieren dort Berliner Adressen, doch das soll sich laut Cochems ändern, denn der eingetragene Verein versteht sich als bundesweite Interessenvertretung. In den Berliner Kaufhäusern werden Naturtextilien laut Cochems überhaupt nicht angeboten, eine Ausnahme sei das Naturkaufhaus in Steglitz.
Besser steht es auch nicht um die bunte Berliner Designer-Szene. Beim Verband der Berliner Createure heißt es, Ökologie sei für die ansässigen Designer ein „Fremdthema“. Beruhigend fügt Vorstandsvorsitzender Stephan Griese hinzu, dass die Designer im hochpreisigen Bereich mit entsprechend teuren Stoffen, die in der Regel ökologisch unbedenklich seien, arbeiten würden. Ruth Haber, eine Berliner Institution im Modedesign, vertraut ebenfalls auf die Unbedenklichkeit der Stoffe. Sie macht darauf aufmerksam, dass es für Designer kein integriertes Stoffstrom-Management gibt, mit dem sich der Produktionsweg eines Kleidungsstücks bis zu den Ursprüngen zurückverfolgen lasse. „Ökologie in der Bekleidungsbranche ist jedoch nur möglich, wenn die Öko-Kette vollständig bekannt ist. Von den umsatzschwachen Berliner Designern darf man nicht erwarten, dass sie die Produktionskette zurückverfolgen. Dazu wären sie wirtschaftlich nicht in der Lage.“ So interessieren sich die Designer laut Haber nur für das Endprodukt, und das sei in der Regel ökologisch unbedenklich.
Mangelnde ökonomische Potenz ist bei den Mitgliedern des Berliner Verbandes der Bekleidungsindustrie nicht zu erwarten. Immerhin gibt es in der Hauptstadt nach Auskunft der Senatsverwaltung für Wirtschaft zehn Betriebe mit mehr als 20 Beschäftigten. Dennoch sind ökologische Aspekte im Verband kein Thema. Anrufe bei zwei Unternehmen bestätigten das Bild. Rechnet man die Gegenwart fort, verspricht auch die nähere Zukunft des Modedesigns nicht besonders ökofreundlich zu werden.
In der privaten Modeschule Esmod spielen ökologische Aspekte während des Studiums überhaupt keine Rolle, so Lehrkraft Françoise Picot. „Vor zehn Jahren gab’s noch Interesse, doch die Zeiten und die Studenten haben sich geändert.“ In der Modeschule bestehe keine Pflicht, sich mit diesem Thema auseinander zu setzen. Anders die Fachhochschule für Technik und Wirtschaft. Dort, so Professorin Andrea Engelmann, kämen die Stundenten der fortgeschrittenen Semester um das Thema Ökologie nicht herum. Die Studenten würden sich auch interessiert zeigen. In den letzten zwei Jahren seien zwei Diplomarbeiten entstanden, die sich mit ökologischem Modedesign beschäftigten.
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