: Markenschuhe für 3,50 Mark
aus Kairo JULIA GERLACH
Nadia liebt Gucci. Ihr Kopftuch, ihre Schuhe und natürlich ihre Handtasche sind mit dem kleinen goldenen „G“ verziert. In ihrem Kleiderschrank hat sie auch noch einen Pulli und ein weiteres Kopftuch: Auch die natürlich von Gucci. Dann hängt da noch ihr Outfit vom letzten Jahr: Alles von rocco-barrocc o. Nadia Nasser ist nicht Millionärin, sondern Arzthelferin in einer eher bescheidenen Praxis in Kairos Innenstadt: Monatseinkommen neunzig Mark. Die Gucci-Tasche ist natürlich nicht wirklich von Gucci, sie ist made in Egypt. „Die hat ungefähr zehn Mark gekostet, aber sie sieht doch wirklich toll aus. Ich liebe Gucci. Allein schon der Name. Das klingt so nach Ausland“, erklärt die 21-Jährige und macht die Handbewegung eines Filmstars.
Hauptsache Markenlabel
Abgesehen von der goldenen G-Spange hat Nadias Tasche keine Ähnlichkeit mit ihren Artgenossen aus dem Hause des großen Couturiers in Frankreich. Die ägyptische Mode orientiert sich an den internationalen Trends, das ist klar. Sie unterliegt aber auch ihren eigenen Gesetzen: „Wir Ägypterinnen mögen es gerne ein wenig schicker. Wir lieben große goldene Spangen. Na ja, und Markenartikel müssen es sein, das ist ganz wichtig. Welche Marke in ist, das ändert sich von Jahr zu Jahr“, sagt sie. Die Form der Taschen bleibt fast gleich. „Ich glaube, wir sind so verrückt auf Marken, weil wir dadurch das Gefühl haben, dass wir dazu gehören – zu euch, zum Westen.“ Und dann bietet so ein Gucci-Outfit auch noch praktischen Nutzen: „Ich muss ja jeden Tag hier durch die Straßen zur Arbeit gehen“, sie deutet zur Gasse: Junge Männer stehen in kleinen Gruppen zusammen. Schwatzen. „Die sehen meine Gucci-Tasche und denken, ich sei aus einer reichen Familie. Da trauen sie sich nicht, mich anzulabern.“
In Ägypten kann man auch Originale kaufen, aber hauptsächlich Nachgemachtes in allen Preisklassen. Faruk Salim, Inhaber eines angesehen Geschäfts in der Innenstadt kopiert detailgenau nach Katalogen aus Europa. Seine Lieblingsfirma ist Bally. „Die haben einfach ein gutes Design“, sagt er. Er verwendet nur erstklassiges Leder: „Im Zweifel sind meine Taschen stabiler als die Produkte aus Deutschland.“ Seine Kundinnen: Gattinnen ausländischer Diplomaten. Der Preis: Nicht billig, aber nur ungefähr halb so teuer wie das Original. Er ist stolz auf sein Können und schreibt daher weder Bally noch Gucci auf die Taschen. Er hat sein eigenes Label: Made in Egypt steht da fein hineingestickt.
Unweit davon verkauft ein alter Mann schwarze Adidas-Latschen. Derbes Leder mit Rodeo-Spange. Mit groben Stichen ist die Sohle befestigt. Kostenpunkt: 3,50 Mark. Mit mitteleuropäischen Adiletten haben diese Schuhe nichts gemein: „Ich habe einfach herausgefunden, dass sich die Schuhe besser verkaufen, wenn ich Adidas hineinschreibe, das ist alles“, sagt der Schuster.
„Leute, die solche Schuhe kaufen, würden sich niemals unsere Produkte leisten können“, erklärt Medhat Maghraby, der vor fünf Jahren die Adidas-Lizenz für Ägypten erworben hat: „Aber es stört uns doch, dass Markenpiraten unseren guten Namen benutzen, um ihre schlechten Waren zu verkaufen.“ Er habe viel Geld investiert, Werbung für Adidas zu machen und die Marke zu etablieren. Deswegen hofft er jetzt, dass mit dem neuen Gesetz zum Schutz von Marken und Patenten die Regierung stärker gegen Markenpiraten vorgeht.
Derzeit wird der Entwurf im Parlament debattiert. Markenschutz ist auch Bestandteil des kürzlich geschlossenen Assoziationsabkommens mit der Europäischen Union. Erste Razzien hat es in Kairo schon gegeben. Große Aktionen, wie in Singapur, wo die Polizei mit Bulldozern gegen Berge von gefälschten Produkten vorgegangen ist, wird es wohl in Ägypten nicht geben. Die Fälscher sind den internationalen Firmen zwar ein Dorn im Auge, aber nur ein kleiner. Anders als in Asien werden am Nil kaum Kopien hergestellt, die für den europäischen oder amerikanischen Markt bestimmt sind.
Antikes aus der Neuzeit
Aber es gibt noch eine andere Art der Fälschung made in Egypt. Und diese ist fast ausschließlich für den Westen bestimmt. Schon im vergangenen Jahrhundert wurden den altertumsbegeisterten Europäern im Tal der Könige nachgemachte Fresquen, Alabasterkatzen und Skarabäen angedreht. Ein durchschnittlicher Tourist begeistert sich auch heute noch für frisch gefertigte Skarabäen, wenn nur die Patina stimmt. Alter Trick der Händler: An Truthähne verfüttern. Wenn die steinernen Glückskäfer hinten wieder herauskommen, sehen sie aus wie nach Jahrtausenden im Pharaonengrab.
Um Ägyptologen zu täuschen, müssen hingegen Spezialisten ans Werk. Der berühmteste Fälscher war Arslanian. Er unterhielt eine Werkstatt in Deutschland und versorgte in den Zwanzigerjahren die europäischen Museen mit Objekten im Stil der Amarna-Zeit. Er kopierte nicht, sondern schuf eigene Kunstwerke im Geiste der Pharaonen. Nach der Entdeckung des Grabes des Echnaton, war der Amarna-Stil mit seinen sehr modern anmutenden, leicht verzerrt wirkenden Figuren in Europa groß in Mode. Erst Jahrzehnte später, nachdem Fotos aus der Werkstatt auftauchten, flog der Schwindel auf. Heute haben viele Museen Giftschränke mit den Fälschungen.
„Eine gute Fälschung von einem Original zu unterscheiden ist sehr schwierig“, sagt Gay Robins, die für das Museum in Atlanta eine Ausstellung über Fälschungen organisiert hat: „Typischer Weise werden Fälschungen auch erst dann entdeckt, wenn der Kurator, der sie meist für viel Geld angeschafft hat, in Rente geht“, sagt sie. Solch ein Fall beschäftigt derzeit die Staatsanwaltschaft in Hildesheim. Der ehemalige Direktor des Roemer- und Pelizaeus-Museums, Arne Eggebrecht, hatte in seinen letzten Dienstjahren mehrere Anschaffungen gemacht. Als seine Nachfolgerin Eleni Vassilika die Sammlung inspizierte, kamen ihr Zweifel. Da gibt es ein Schiff, mutmaßlich aus der 11. oder 12. Dynastie. Das Holz ist alt. Das haben technische Analysen bewiesen. Doch die Proportionen stimmen nicht. Vermutlich wurde es nachträglich, vielleicht erst kürzlich aus zusammengesuchten Einzelteilen zusammengesteckt und dann zu einem überhöhten Preis verkauft. Dann ist da noch eine Alabasterschale in Form einer Ente: „Es hat solche Schalen in der 18. Dynastie gegeben“, sagt Bettina Schmitz vom Hildesheimer Museum: „Aber es gibt Vermutungen, dass unsere Schale weder aus Ägypten noch aus dieser Zeit stammt. Die alten Phönizier liebten es, im ägyptischen Stil zu arbeiten.“ Beide Objekte lagern jetzt im Magazin des Museums und dem ehemaligen Direktor wird vorgeworfen, die falschen Objekte viel zu teuer mit öffentlichen Mitteln bezahlt zu haben.
Wo die Werkstätten sind, in denen heute noch die wirklich guten Antquitäten gefälscht werden, ist unsicher. „Im Tal der Könige gibt es einige sehr geschickte Handwerker. Sie haben ihre Fähigkeiten von ihren Vätern und Großvätern gelernt. Seit der pharaonischen Zeit wird hier so produziert“, sagt eine Kairoer Ägyptologin, die ihren Namen nicht gerne im Zusammenhang mit Fälschern lesen möchte. Erst einmal seien dies Künstler, die immer und immer perfektere Stücke im Stile ihrer Vorfahren produzierten. „Erst wenn sie beginnen, die Stücke mit Patina zu versehen und sie dann als echt zu verkaufen, beginnt es, kriminell zu werden“, sagt sie.
Profifälscher in Europa
Andere, wie beispielsweise Dietrich Wildung, Leiter des Ägyptischen Museums in Berlin vermuten die Topfälscher in Europa: „Mit den Objekten aus dem Tal der Könige, kann man vielleicht Touristen täuschen. Um auf dem europäischen Kunstmarkt mitzuhalten, wo Objekte von Expertengremien begutachtet und technisch untersucht werden, braucht man Expertenwissen“, sagt er. Zudem reiche es nicht, ein gutes Objekt herzustellen. Bevor eine Statue oder ein Relief bei einem internationalen Auktionshaus versteigert wird, müssen Papiere vorgelegt werden. Diebstahl und Schmuggel von Altertümern soll so vorgebeugt werden. Ein Schwindler müsste also auch die Papiere fälschen. 1972 wurde ein Unesco-Abkommen zum Schutz des kulturellen Erbes geschlossen. Ägyptische Antiquitäten sind wohl das teuerste Gut, das in Europa und Amerika gehandelt wird. Museen können da oft nicht mithalten: Die meisten Stücke wandern in die Sammlungen reicher Privatleute.
„Die Fälschungen haben auch eine positive Seite“, sagt Norbert Baer, Fälschungsspezialist von der New-York-Universität. „Je mehr Fälschungen auf dem Markt sind, desto vorsichtiger werden die Käufer. Dadurch werden nicht zuletzt auch die Originale geschützt.“ Eine Weisheit, mit deren Logik die Hersteller von Gucci-Taschen kaum einverstanden sein dürften. Der alte Mann, der auf Kairos Basar seine handgenähten Leder-Adiletten verkauft, kann sich hingegen schon mit dieser These anfreunden: „Irgendwie mache ich doch auch Werbung für Adidas, wenn alle mit meinen Schuhen herumlaufen. Seht das doch mal so!“
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