: „Ein innerlich absolut freier Arbeitsraum“
■ Internationale Komponistinnen-Tage vor den Toren Bremens stehen vor der Tür: Ein Besuch bei den „Höge“-Stipendiatinnen Jin-Ah Ahn und Noriko Nakamura, deren Werke im September uraufgeführt werden
Sommer auf der „Höge“: Seit einem Jahr heißt das, die Stipendiatinnen des „Artist in Residence“-Programmes sind da. Der inzwischen europa-, wenn nicht weltweit bekannte Künstlerinnenhof im Süden von Bremen hat im vergangenen Jahr eine Stiftung gegründet, die es Künstlerinnen aus allen Disziplinen ermöglicht, auf der Höge Arbeitsstipendien zwischen zwei und neun Monaten zu erhalten. Wichtig ist dabei vor allem, dass es – ein Novum gegenüber den meisten Preisen und Förderprogrammen – keine Altersbegrenzung gibt, was für viele Frauen mit „Zick-Zack-Biographien“ von unbezahlbarem Wert ist. Die Künstlerinnen bekommen 2.000 Mark pro Monat, sie haben Residenzpflicht, aber keinen Produktionszwang in dem Sinne, dass am Ende ein Arbeitsergebnis vorgestellt werden muss. „Es soll ein innerlich absolut freier Arbeitsraum sein“, so die Leiterin der Höge, Barbara Reinhart.
Zufällig oder auch nicht zufällig: Dieses Jahr sind es sieben Komponistinnen, was Barbara Reinhart und ihre Mitarbeiterinnen bewogen hat, am Ende von deren Aufenthalt ein Festival zu gestalten. Es findet mit zwei Konzerten und Diskussionen am 22. und 23. September statt. Als ich jetzt an einem normalen Arbeitstag auf die Höge hinausfahre, treffe ich eine andere Situation an als beim stets gut vorbereiteten Besuch von Konzerten oder Pressekonferenzen. Auf dem unvergleichlich schönen Gelände mit den unterschiedlichen Bauerngärten – auch hier hat es einen Wettbewerb für Gärtnerinnen gegeben – wird vielfältig gearbeitet: Bauarbeiter stellen den neuen Gästetrakt her, und fünf MitarbeiterInnen sind für Pressearbeit, Künstlerinnenkontakte, Buchhaltung, Organisation des Festivals, Stipendiatinnenbetreuung zuständig und ermöglichen der Leiterin Barbara Reinhart ihren Hauptjob: das Sponsoring, ohne das auf der Höge nichts möglich wäre.
Für jede Künstlerin gibt es eine professionelle Einführung in die Schnitttische für Video, Ton und Grafik. Dass diese notwendigen Arbeiten noch alle über ABM, BSHG 19 und zeitgebundene Honorarverträge abgewickelt werden, sieht Barbara Reinhart nicht nur als einen Nachteil: „Dadurch kommen unheimlich viele neue Ideen in das Grundkonzept der Höge, die wir in der Regel gerne aufnehmen“.
An diesem Tag treffe ich die Koreanerin Jin-Ah Ahn, die zum ersten Mal in ihrem Leben an einen Tonschnitt-Platz arbeitet. „Ein Himmel, eine Erde“ heißt das Stück für Klavier, Tonband und Video der 32-jährigen Komponistin, die in der Schlussphase ihres Studiums bei Younghi Pagh-Paan in Bremen steht. Im September soll es uraufgeführt werden. Alle Klänge des Tonbandes sind Originalklänge des Klaviers, die sie bearbeitet: zum Beispiel 0,04 Sekunden herausgeschnitten und dann verlängert und mit anderen Klängen überlagert. Oder sie hat nur die Einschwing- oder Ausschwingvorgänge herausgenommen: das klingt wie eine Glasharfe. In ihren Notizbüchern hat Ahn hunderte von Geräuschen stehen: Hubschrauber, Saitenkratz, Messer, Lokomotivrollen, Muschelfallen ... Was Musik bewirken kann, ist ihr ein zu großes Thema an diesem heißen Morgen, gleichwohl will sie „etwas ausdrücken“, erreichen, dass die ZuhörerInnen „nachdenken“. Für dieses Stück, dessen Impuls sich einer Demonstration gegen Rassismus verdankt und für das Ahn ein Bild von Käthe Kollwitz (Die Mutter mit dem toten Sohn) hinzuzieht, zitiert sie die Malerin: „Ich will wirken in dieser Welt“.
Die traumhaften Arbeitsbedingungen auf der Höge hat Jin-Ah Ahn, die in Seoul ihren „Master of Music“ und den „Bachelor“ gemacht hat, noch nie in ihrem Leben gehabt. Auch Noriko Nakamura aus Japan nicht, die mit ihren 36 Jahren einen vollen Unterrichtsjob (Komposition) in Kyoto hat. Nakamura bezieht eine ausdrücklich politische Position: „Unsere Gesellschaft“, so sagt sie ruhig, aber leidenschaftlich, „ist krank“. Sie nutzt ihre öffentliche Position, um ihre Stimme zu erheben, vor allem aber, um künstlerische Produktionen zu machen: „Morgen jährt sich der Tag, an dem Japan den Krieg gegen Korea verloren hat. Ich habe ein Kinderkonzert organisiert“. Ihre musikalische Erziehung ist wie die von Jin-Ah Ahn europäisch, heute möchte sie „eine Brücke bauen“. „Das ist noch immer schwer, weil die westliche Kultur bei uns so viel höher geschätzt wird“. Das schlägt sich neben den japanischen Titeln in der Wahl der Instrumente nieder. So wird Ende September „Naga“ – was so viel wie Wassergott bedeutet – für Marimba gespielt, ein Schlaginstrument, das an das jahrtausende alte „Koto“ erinnert.
Irgendwie bin ich ganz froh, dass nur Ahn und Nakamura an diesem Tag da sind, denn wie alles auf der Höge hatten auch die Gespräche eine unvergleichliche, erschöpfende Intensität.
Ute Schalz-Laurenze
Die Internationalen Komponistinnentage, zu denen noch Carmen-Maria Carneci aus Rumänien, In-Sun Cho aus Korea, Hope Lee aus Kanada, Jamilia Jazylbekova aus Kasachstan und Bettina Skrzypczak aus Polen erwartet werden, finden am 22. und 23. September auf der Höge statt. Infos unter Tel.: 04249-93030 oder e-Mail: hoege@t-oneline.de .
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