: Die Trümpfe sind neu verteilt
Schon in der Vorbereitung auf die im September beginnende Handballsaison unterstreicht der TBV Lemgo seine Ambitionen auf den Titel. Meister Magdeburg und Altmeister Kiel stehen kaum nach
von ANKE BARNKOTHE
„Vor allem bin ich müde“, gibt Stefan Lövgren, Spielmacher und heimlicher Chef des THW Kiel, mit dem Hauch eines Lächelns zur Antwort, als ihm nach den ersten Testspielen eine erstaunliche Frühform bescheinigt wird. Wohl weiß der schwedische Handballer, dass er und seine Kollegen in der schweißintensivsten Zeit des Jahres, in der Wald, Halle, Hotelzimmer und Mannschaftsbus das Zuhause eines Spielers sind, lediglich Bergfest feiern dürfen. Drei der insgesamt sechs Wochen dauernden zweiten Vorbereitungsphase auf die am 8. September beginnende Bundesliga-Saison sind vorüber und lassen erste Prognosen über die vermutlich interessanteste Serie seit dem Bosman-Urteil zu.
Nicht, dass es noch spektakulärere ausländische Neuzugänge geben würde als in den vergangenen Spielzeiten. Dies ist aufgrund der nahezu ausgeschöpften Finanzbudgets der Clubs (in der Spitze mit Jahresetats um sechs Millionen Mark) kaum mehr möglich, außerdem spielt beinahe jeder europäische Star, der in den vergangenen fünf Jahren die Möglichkeit dazu hatte, ohnehin schon in der Bundesliga oder hat dort gespielt. Zu erwähnen allerdings sind mit Demetrio Lozano (von Barcelona nach Kiel), Jesús Olalla (von Pamplona zu Wallau) und Peter Gentzel (von Granollers nach Nordhorn) die Verpflichtungen zweier spanischer und eines schwedischen Nationalspielers. Dazu kehrt Christian Schwarzer aus Barcelona nach Lemgo zurück.
Das, was die kommende Saison so vielversprechend erscheinen lässt, ist vielmehr die interessante Umverteilung der bereits vorhandenen Spieler auf die einzelnen Clubs. So hat sich der letztjährige Vizemeister TBV Lemgo neben Kreisläufer Schwarzer mit Torwart Christian Ramota und Regisseur Marcus Baur verstärkt. Da alle drei Nationalspieler sind und Lemgo darüber hinaus mit Daniel Stephan, Florian Kehrmann und Volker Zerbe über zwei aktuell und einen lange Zeit für Deutschland Spielenden verfügt, freut das nicht nur den Bundestrainer. Es macht den TBV, der mit dem Schweizer Marc Baumgartner noch dazu einen exzellenten Rückraumschützen in seinen Reihen hat, zum Titelanwärter Nummer eins, auch deshalb, weil er die kürzeste Integrationszeit für die neuen Spieler benötigt. Was sich schon jetzt auf den hochkarätig besetzten Vorbereitungsturnieren zeigte, etwa in Braunschweig, wo Lemgo das Finale gegen Meister Magdeburg gewann, oder, trotz der Halbfinalniederlage am Samstag gegen Essen, beim Sparkassen-Cup.
Mit einem Trumpf ganz anderer Art geht der ehemalige Abonnementsmeister THW Kiel, der im letzten Jahr lediglich Fünfter wurde, dieses Jahr ins Rennen. „Mit diesen Jungs macht es unheimlich viel Spaß. Es ist eine tolle Stimmung, die Spieler verstehen sich schon jetzt ganz hervorragend“, sagt Manager Uwe Schwenker, der durch seine Personalpolitik selbst einen Anteil am präsaisonalen Stimmungshoch seines Teams hat. Hatten die Kieler ob ihrer qualitativ zwar stets am oberen Limit befindlichen, aber quantitativ äußerst knapp bemessenen Spielerdecke die Verantwortung in den letzten Jahren immer auf einige wenige Schultern verteilt, sind nun fast alle Positionen doppelt besetzt.
Spaßminimierend ist hingegen sowohl für Schwenker, aber mehr noch für seinen ehemaligen Topscorer Nenad Perunicic der noch nicht bis zuletzt ausgefochtene Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht. So beantwortet denn auch der sonst so selbstbewusst auftretende Montenegriner die Frage nach seiner allgemeinen Befindlichkeit mit einem etwas hilflos klingenden „Es ist immer noch nicht zu Ende“ und verweist mit einem Nachsatz auf den dritten Gerichtstermin im Oktober. Dieser soll die endgültige Klärung darüber bringen, ob Perunicic rechtmäßig gehandelt hat, als er einen wesentlich höher dotierten Vertrag beim SC Magdeburg unterschrieb, obwohl er sich laut Schwenker bereits einige Monate zuvor mit der Unterzeichnung einer Vertragsanzeige wieder für Kiel entschieden hatte.
Die Entscheidung hat jedoch lediglich Relevanz für die Clubkassen. Der stärkste Werfer der Liga erhielt bereits eine Spielgenehmigung für Magdeburg und bildet mit dem russischen Spielgestalter Kuleschow und dem isländischen Linkshänder Stefansson die Schaltstelle des Titelverteidigers und dritten großen Meisterschaftsanwärters. Zu den stärksten Verfolgern dieses Trios werden Wallau und Flensburg gehören, Außenseiterchancen besitzen Nordhorn und Essen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen