: Hysterisch und tosend
Das erste Pflichtspiel in der Schalke-Arena endet 3:3. Leverkusen ist der Hals anfangs von der stickigen Atmosphäre zugeschnürt, Schalke sinkt im Augenblick des verpassten Sieges darnieder
aus Gelsenkirchen HOLGER PAULER
Nach dem Schlusspfiff fielen die Schalker Spieler völlig entkräftet zu Boden. In der letzten Minute hatten sie den Ausgleich zum 3:3 kassiert. Nichts erinnerte mehr an den enormen Druck der ersten 20 Minuten, in denen sie die Leverkusener förmlich an die Wand der neuen Nordkurve spielten. „Die Mannschaft muss noch lernen, mit der Atmosphäre umzugehen“ sagte Manager Rudi Assauer danach.
Die „Arena auf Schalke“ bescherte den Anwesenden ein Spiel, das im altehrwürdigen Parkstadion so nicht möglich gewesen wäre: Ein reines, enges Fußballstadion, ohne Laufbahn, eine Dachöffnung, kleiner als das Spielfeld, unter der sich Hitze und Emotionen stauen, dazu eine mörderische Akustik, in der die Fangesänge zu einem bedrohlich-lauten Brei aus Beschwörungsritualen und startenden Düsenjets werden. Im Innern der äußerlich kalt und lieblos wirkenden Fassade, zwischen den VIP-Logen und Business-Seats, entwickelte sich ein hysterisches Kampfspiel. Viele kleine Fouls, Rangeleien, umstrittene Schiedsrichterentscheidungen. Mitte der ersten Halbzeit stürmte sogar Rudi Assauer auf den Rasen, um bei einem Handgemenge zu schlichten. Schiedsrichter Berg schickte ihn dafür auf die Tribüne. War es die Angst des Managers vor der verkorksten Premiere, die Assauer aufs Feld stürzen ließ?
Der Druck auf Fußballschalke war jedenfalls groß. Die Verantwortlichen gingen ein enormes Risiko ein. Erst am vierten Spieltag wurde das erste Heimspiel im neuen Stadion gespielt, wochenlang hatten die Fans diesem Moment entgegengefiebert. Ihre ganze Energie legten sie in das Spiel. Die ersten Partien, bei Bayern München und Borussia Mönchengladbach, sollten schnell vergessen werden. Alles konzentrierte sich auf den Samstag.
Der Anpfiff um 15:30 Uhr Ortszeit wirkte wie eine Befreiung. „Die Götter ziehen in den Olymp“ stand auf einem Plakat in der Nordkurve. Und wie Götter begannen sie auch. Kapitän Tomasz Waldoch erklärte hinterher: „Wir wollten in diesem neuen Stadion von der ersten Minute an 110 Prozent geben, weniger war bei dieser Atmosphäre einfach nicht möglich.“
Über 60.000 Fans peitschten ihr Team nach vorne. Ein infernalischer Lärm. Gehörschäden vorprogrammiert. Die Anweisungen der Trainer gingen bei diesem Krach völlig unter. Die Gäste verloren schnell die Ordnung. Vor allem bei Standardsituation. „Dabei habe ich die Mannschaft davor gewarnt“, bemerkte Klaus Toppmöller nach dem Spiel. Ohne Erfolg. Tomasz Hajto verwandelte den dritten Eckball zur frühen Führung. Die Schalker setzten sofort nach. Die Leverkusener hatten kaum Zeit, durchzuatmen, sofern dies überhaupt möglich war. Das subtropische Klima in der Arena machte allen Beteiligten zu schaffen. „So etwas habe ich noch nie erlebt“, erzählte Waldoch nach dem Spiel, während Bayers Torwart-Trainer Toni Schumacher Erinnerungen an die WM 1986 und das Viertelfinale im Wüstenklima von Monterrey kamen.
Ein umstrittener Elfmeter bescherte den Schalkern zur Pause eine relativ beruhigende 2:0-Führung. Und hätte Emil Mpenza nach Wiederanpfiff seinen Sololauf erfolgreich abgeschlossen, das Spiel wäre frühzeitig entschieden gewesen. Stattdessen kamen die Leverkusener, angetrieben vom überragenden Yildiray Bastürk, ins Spiel zurück. Sowohl Michael Ballack als auch Ulf Kirsten profitierten bei ihren Toren von der Vorarbeit des ehemaligen Bochumers. Die Beine der Schalker wurden immer schwerer. Zu einem Zeitpunkt, als das Spiel zugunsten der Gäste zu kippen schien, brachte Huub Stevens Rückkehrer Marc Wilmots für den im zweiten Durchgang enttäuschenden Andi Möller. Aus dem Nichts erzielte Emil Mpenza das 3:2, und die Schalker schienen doch noch einem Happy End entgegenzuwanken, ehe Bernd Schneider in der 90. Minute den durchaus gerechten Endstand herstellte. Huub Stevens sprach hinterher von zwei verlorenen Punkten. „Wir mussten das 3:0 machen, dann gehen wir als Sieger vom Platz.“ Gegen die meisten Mannschaften hätte wahrscheinlich schon die stürmische Anfangsphase gereicht.
Für 7 bis 9 Punkte extra pro Saison soll das neue Stadion gut sein, rechnete Rudi Assauer kürzlich der Öffentlichkeit vor. Ob der Punkt gegen Leverkusen bereits dazugezählt werden kann, wird wohl schon das nächste Spiel am Dienstag gegen Hansa Rostock zeigen. Dort beginnt für den FC Schalke 04 der eigentliche Bundesligastart in der neuen Arena.
FC Schalke 04: Reck - Hajto, Waldoch, van Kerckhoven - Asamoah (79. Djordjevic), Oude Kamphuis (26. van Hoogdalem), Kmetsch, Böhme - Agali, Möller (77. Wilmots), Mpenza Bayer Leverkusen: Butt - Lucio, Nowotny, Placente - Sebescen, Schneider, Ramelow, Ballack - Bastürk - Kirsten, Neuville (71. Brdaric)Zuschauer: 60.204; Tore: 1:0 Hajto (9.), 2:0 Böhme (40./Foulelfmeter), 2:1 Ballack (58.), 2:2 Kirsten (74.), 3:2 Mpenza (80.), 3:3 Schneider (90.)
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