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Heroin wird Medikament

In einem bundesweiten Modellprojekt sollen ab kommendem Februar schwer Drogenabhängige mit Heroin und Methadon behandelt werden. Drogenbeauftragte der Bundesregierung spricht von „Baustein einer humanen Drogenpolitik“

aus Bonn PASCAL BEUCKER

Endlich. Die Erleichterung ist Ursula Christiansen anzusehen. „Ich bin richtig froh darüber, dass Köln mitmacht und ich heute hier dabei sein kann“, jubiliert die Gesundheitsdezernentin der Stadt. Im Februar kommenden Jahres soll ein bundesweites Modellprojekt zur heroingestützten Behandlung Schwerstabhängiger starten. In Bonn unterzeichneten das Bundesgesundheitsministerium, die Länder Hamburg, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen sowie die Städte Bonn, Frankfurt, Hannover, Karlsruhe und München gestern einen entsprechenden Kooperationsvertrag. Für Köln hat Christiansen unterschrieben.

Das auf drei Jahre befristete Projekt soll zeigen, ob kontrollierte Heroinabgabe „dazu führt, dass opiatabhängige Menschen vom Hilfesystem erreicht und gesundheitlich und sozial besser stabilisiert werden können als bisher“, so die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marion Caspers-Merk (SPD). Offenbar gebe es eine große Zahl bisher kaum erfolgreich behandelbarer Menschen, die „harte“ Drogen – vor allem Heroin – nehmen. Die jetzige Vereinbarung ist für Caspers-Merk „Baustein einer humanen Drogenpolitik“.

Insgesamt 1.120 Schwerstheroinabhängige sollen an dem Versuch teilnehmen. Die Hälfte von ihnen wird mit Heroin, die anderen als Vergleichgruppe mit Methadon behandelt. Die Probanden müssen mindestens 23 Jahre alt und seit 5 Jahren abhängig sein. Die Auswahl beginnt im November, die Behandlung selbst startet im Februar kommenden Jahres. „Neben der medikamentösen Therapie sind auch innovative Formen der psychosozialen Begleitung der Patienten und Patientinnen Bestandteil der wissenschaftlichen Untersuchung“, erläutert Michael Krausz vom Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg, der das Projekt wissenschaftlich begleitet. Die Ethikkommission der Ärztekammer Hamburg und das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte haben dem Versuch zugestimmt. Die Kosten übernehmen der Bund und die beteiligten Länder und Städte.

Ursprünglich wollten sich in Nordrhein-Westfalen auch Essen und die Landeshauptstadt Düsseldorf beteiligen. Doch nach den Kommunalwahlen im Herbst 1999 wollten die neu gewählten CDU-Oberbürgermeister nichts mehr von dem Versuch wissen. Das seit zwei Jahren schwarz-gelb regierte Köln hingegen stieg nicht aus – obwohl die Christdemokraten große Bauchschmerzen hatten. Erst im Juli beschloss der Stadtrat, mit der Umsetzung des Modells zu beginnen – die einzige Gegenstimme kam von einem „Republikaner“. „Ich habe immer fest daran geglaubt, dass Köln dabeibleibt“, sagt Christiansen der taz.

11.000 Drogenabhängige leben in Köln, davon gelten nach Schätzungen 600 bis 1.000 Schwerstabhängige. 100 von ihnen soll nun mit dem Modellprojekt eine neue Perspektive erhalten. „Wir wollen damit den Drogenabhängigen helfen, so etwas wie ein geregeltes Leben führen zu können, und wir werden durch das Projekt die Beschaffungskriminalität senken“, sagt Christiansen. Ungelöst ist das Problem, wo den Patienten das Heroin verabreicht werden soll. Sechs Krankenhäuser haben bereits abgewunken. „Wahrscheinlich werden wir das jetzt direkt im Gesundheitsamt machen“, so die Gesundheitsdezernentin.

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