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Hauptsache, es brennt

Die aus Südamerika stammende Chilischote gilt als typisches Gewürz der Tropen. In unseren Breiten steht die kleine scharfe Schwester von Kartoffel und Tomate unverdient im Schatten – sehr unverdient

von KARIN KUEPPERS

Eine Tankstelle, drei Schnellimbisse und ein paar Dutzend Häuser – Othello im Bundesstaat Washington ist einer jener trostlosen amerikanischen Orte, in denen man nur ungern tot über dem Zaun hängen möchte. Es gibt nur einen Grund, hier zu halten: „Zavala’s Place“. Mister Zavala ist rundlich und immer gut gelaunt. In seinem kleinen Restaurant gibt es richtiges, höllenscharfes mexikanisches Essen. Nicht diesen lauen Abklatsch, der bei den großen Imbissketten über den Tresen geschoben wird. Für seine gefüllten Jalapenos oder das berühmte Buffalo Chili lohnt sich jeder Umweg. Außerdem verkauft Mister Zavala an ausgewählte Stammkunden seine selbst hergestellte „No Joke Hot Sauce“, die an der ganzen Nordwestküste der USA bekannt ist. Diese Chilisauce verhält sich zur altbekannten Tabascosauce wie Raketentreibstoff zu Buttermilch.

Der Schmerz treibt Tränen in die Augen. Eine Feuerwalze rast durch Stirn- und Nebenhöhlen. Die Kopfhaut scheint sich vom Schädel abzulösen und alle Haare stehen senkrecht. Glühende Lava bahnt sich ihren Weg durch die Speiseröhre in den Magen, wo die Schleimhäute Samba tanzen. Ist das noch gesund? Warum essen manche Leute derart scharfe Gerichte mit Hochgenuss? Wieso entwickeln manche Menschen ein regelrechtes Verlangen nach dem höllischen Zeug?

Der Inhaltsstoff Capsaicin im Chili erhöht die Empfindlichkeit der Schleimhäute. Dadurch werden Speisen aromatischer und geschmackvoller empfunden. Das Capsaicin bewirkt durch die scheinbare Verbrennung der Zunge eine verstärkte Ausschüttung von Endorphinen. Je stärker die Endorphinausschüttung des Gehirns, desto intensiver ist unser Wohlgefühl. Zwar wird von unerfahrenen Chilikonsumenten gerne behauptet, dass die Schärfe es unmöglich mache, den Geschmack der Speisen überhaupt noch zu spüren. Aber nach einigen Erfahrungen mit scharfem Essen entwickeln die meisten Menschen die Fähigkeit, die Aromen neben der Chilischärfe genau wahrzunehmen. Auch andere Säugetiere können durchaus auf den Geschmack kommen, wie Freilandversuche zeigten, bei denen man Ratten mit Chilibüschen bekämpfte. Sie sollten die Nager von den Gemüsebeeten fern halten. Ergebnis: Die Viecher fraßen die Chilibüsche ratzekahl.

Manche Leute geben sich nicht mit irgendeiner Chilisorte zufrieden, sondern suchen nach einem besonderen „Bouquet“, einem angenehmen Biss, einer bestimmten Schärfe, die ihr Feuer nicht auf dem vorderen, sondern dem hinteren Teil der Zunge entfacht. Wie Weinkenner können sie sich über die Eigenschaften bestimmter Sorten und Herkunftsgebiete auslassen. In Mexiko, der Heimat der Chilis, sind Hunderte verschiedene Sorten der scharfen Schote auf dem Markt. Der Schärfegrad reicht von sehr mild bis höllenscharf. Es gibt Chilis mit fruchtigem, erdigem, rauchigem oder blumigem Aroma. Die Schärfe ist keine unveränderliche Eigenschaft der jeweiligen Sorte, sondern wird auch von den Umweltbedingungen beeinflusst. Merke: Je höher die Temperaturen, desto schärfer werden die kleinen Schoten. Die Früchte von ein und derselben Pflanze können sich in ihrer Schärfe erheblich unterscheiden, selbst wenn sie zur gleichen Zeit geerntet wurden.

Chilischoten können rot oder grün sein. Die Farbe allein sagt noch nichts über ihr Brennpotenzial. Auch die Faustregel „je kleiner, desto teuflischer“ darf getrost infrage gestellt werden. Chilis sind immer für eine Überraschung gut. Entfernt man dagegen Samen und Innenhäute, hat man das schlimmste Höllenfeuer gebannt, darf dann aber in den nächsten zwei Jahren nicht mehr am Daumen lutschen.

Die genaue Herkunft des Chilis lässt sich nicht mehr feststellen. In Mexiko wird Chili seit etwa sechstausend Jahren kultiviert. Unter der kriegerischen Herrschaft der Tolteken mussten einige Unterlinge den Tribut sogar in Chilischoten entrichten. Man nimmt an, dass die indianische Urbevölkerung mit den verschiedenen Chilisorten ihr Grundnahrungsmittel Mais abwechslungsreicher und schmackhafter zubereiten wollte.

Kolumbus brachte die ersten Chilischoten nach Europa. Hier blieben sie lange Zeit unbeachtet. Die Portugiesen brachten Chili zusammen mit Tabak und Baumwolle von ihrem Handelsposten Pernambuco an der Ostküste Brasiliens nach Westafrika. Anschließend umrundeten die scharfen Dinger das Kap der Guten Hoffnung und reisten nach Goa an die Westküste Indiens. Von da aus weiter nach Malakka (Malaysia), Macao (China) und zu den Philippinen. In all diesen Ländern breitete sich das neue Gewürz schnell aus und war bald aus der jeweiligen Küche nicht mehr wegzudenken.

In Indien, Thailand und China besaß man bereits andere scharfe Gewürze wie Ingwer, Senf oder schwarzen Pfeffer. Hier wurden die Chilis aus der Neuen Welt rasch aufgenommen, da die anspruchslosen Pflanzen fast ohne Pflege gedeihen. In den Küchen Asiens werden die Chilischoten nur wegen ihrer Schärfe eingesetzt. Die verschiedenen aromatischen Möglichkeiten dieser Frucht, die in Mittel- und Südamerika voll ausgeschöpft werden, spielen in der indischen oder thailändischen Küche keine Rolle. Hauptsache, es brennt.

Ähnlich wie Tomate und Kartoffel in Europa benötigte der Chili nur wenige Jahrzehnte, um sich in den gesamten Tropen zu verbreiten. Mit den Feldzügen des Osmanischen Reiches kamen die Chilischoten nach Ungarn und wurden unter dem Namen Paprika zu einem wichtigen Bestandteil der ungarischen Küche. Hier wurden dann – erst im 20. Jahrhundert – aus der ungarischen Paprika die milden Gemüsepaprika gezüchtet.

Deutschland ist Entwicklungsland, wenn es um das Angebot an verschiedenen Chilisorten auf dem Markt geht. Von der reichhaltigen Auswahl großer amerikanischer Supermärkte können die Chilisüchtigen hierzulande nur träumen. In der Regel lässt sich bei uns in asiatischen Lebensmittelläden nur der mittelscharfe thailändische Chili finden. Die Peperoni und andere Sorten aus dem Mittelmeerraum, die in ihrer Schärfe starke Schwankungen aufweisen, gibt es in italienischen, spanischen oder türkischen Geschäften. Gelegentlich sieht man im Supermarkt Chilis aus Holland. Diese Früchte kann man nur zur Dekoration benutzen, denn sie haben ähnlich viel Geschmack wie die meisten holländischen Tomaten: keinen.

Zufrieden lässt Mister Zavala seinen Blick über unsere leeren Teller und die geröteten Gesichter schweifen. „Les gustó la comida – hat es geschmeckt?“ Heftiges Kopfnicken. „Sí, sí, muchísimo – ausgezeichnet.“ Im Körper breitet sich jenes Wohlgefühl aus, welches nur ein gutes, scharfes Essen hinterlässt.

Eine Tankstelle, drei Schnellimbisse und ein paar Dutzend Häuser, dieses Othello ist eigentlich doch ein ganz netter kleiner Ort.

KARIN KUEPPERS, 44, ist Biologin und lebt in Offenbach. Seit einem Auslandssemester in Thailand ist sie bekennende Chilistin

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