Krapfen from outer space

Die Mobilität und der Umbau der Städte beschäftigen viele Künstler. Vier von ihnen zeigen Ausrüstungen für das tägliche Leben im Foyerraum des Constanze-Pressehauses

Hierzulande kennt man sie als Material der billigsten Reisetaschen: Plastikfolie in rot-weiß-blau. Als Juliane Heise 1998 zu einem Skulpturensymposium nach Vietnam reiste, entdeckte sie die Planen an allen möglichen Orten. Ihre Fotos aus Hanoi zeigen sie an Absperrungen auf dem Flughafen, auf dem Markt zu großen Ballen zusammengerollt, an Markisen und Rikschakabinen, als Regenschutz in fragilen Bambusarchitekturen. Die Farben, erfuhr die Künstlerin, sind in der Geschichte verankert – rot steht für das Land, weiß für die Religion, blau für das thailändische Königshaus. Schon der Transfer der Nationalfarben auf ein Allerweltsmaterial, das in allen möglichen Situationen schnelle Hilfe improvisieren lässt, wirkt wie ein Symbol für den Bruch zwischen alten gesellschaftlichen Ordnungen und den Verkehrsformen des Übergangs.

Heise ließ aus den Planen steife Kleider für ein Paar nähen, in traditionell asiatischen Schnitten. Mann und Frau posieren darin vor wichtigen Sehenswürdigkeiten: neben der Rakete im Park und am Palasteingang, auf der Tempeltreppe und neben dem Denkmalssockel. Sie sind zu Touristen in ihrer eigenen Geschichte geworden.

Die Bilder aus Hanoi und eine große Tasche, die man wie ein Zelt betreten kann, zeigt Juliane Heise in der Ausstellung „housing“ im Bildhauer-Foyer des Constanze-Pressehauses, an der noch drei weitere Künstler beteiligt sind. Kaum etwas könnte in größerem Gegensatz zum kalten Marmorprotz des Foyers und der Anonymität der Büroflure stehen als diese Skulpturen aus dünnen Stoffen. Heise, Nada Sebestyén, Dietmar Spiller und Stephan Potengowski erzeugen mit ihren Arbeiten Bilder von Nomadentum und Obdachlosigkeit, vom Ausgesetztsein und Sichausrüsten, vom Reisen aus Lust und aus Not, von Verdrängungsprozessen und Raumgewinnung. Mit der sozialen Mobilität von heute verändern sich nicht nur Geografie und Stadtbilder. Die Zeichen selbst erfahren eine Neuinterpretation.

Mode und Architektur, das Mobile und das Immobile tauschen ihre Codes in den Kleiderobjekten von Nada Sebestyén. Wand und Gewänder nähern sich an in den steifen Formen, die aus Segelstoffen und gesteppten Decken genäht sind. Wie eine Schildkröte könnte man sich in ihnen verkriechen und den Kopf einziehen, oder mit ihnen weiterziehen. Sie rühren an Bilder der Armut, sind aber auch laufstegkompatibel und stellen Mobilität und Unabhängigkeit als Zeichen höchster Souveränität dar. Assoziationen zur Obdachlosigkeit und zu der Ungebundenheit des Kreditkartenbesitzers gehen eine Allianz der Verunsicherung in diesen Formen ein. Gerade deshalb deuten sie auch die Möglichkeit des schnellen Sturzes an. Dazu passt die Atmosphäre des Pressehauses, an dessen Fluren manche Büros leer stehen. Nur die Ventilatoren brummen unter der Decke.

Dietmar Spiller hat ein Haus gestrickt und eins aus Folie gebaut als mobilen Pavillon für seine gemalten Bilder von Boxern und Blumentöpfen. Stephan Potengowski greift die Austauschbarkeit der Erfahrung und die Verwechselbarkeit des Urbanen in der globalisierten Welt auf. Für die Skulptur „spacewalk inside a donut“, die er in drei Fotografien vorstellt, nahm er die Form des Fettkrapfens auf, der Coca-Cola auf dem Siegeszug um die Welt gefolgt ist. Potengowski hat ihn in der Größe eines Ufos nachgebaut, in dem ein Mensch gerade aufrecht stehen kann. Man könnte es fast als Drohung verstehen: Wenn der Markt hier gesättigt ist, müssen die Außerirdischen als nächste Konsumenten ran. Wozu sonst investiert man schließlich Milliarden in die Raumfahrt.

KATRIN BETTINA MÜLLER

Bis 7.9., Mo–Fr 10–18 Uhr, Constanze-Pressehaus, Kurfürstenstr. 72–74