: Längst nicht mehr nur am Rand
■ Autor Michael Weiss zur musikalischen Neonazi-Subkultur
Die Musik der Neonazis ist mehr als ein „kultureller Ausdruck“, betont Michael Weiss. Auch in Hamburg sei eine „rechte Erlebniswelt“ entstanden. Für heute Abend hat Regenbogen den Co-Autor von White Noise. Rechts-Rock, Skinhead-Musik eingeladen.
taz hamburg: „Es gibt kein besseres Mittel als Musik, um die Jugend für unsere Ideen zu begeistern“, erklärte der Sänger der Naziskinband Skrewdriver, Ian Stuart Donaldson. Ist das Konzept „White Noise“ aufgegangen?
Michael Weiss: In Deutschland ist es hervorragend aufgegangen. Über die Musik sind viele Tausende Jugendliche neonazistisch politisiert und radikalisiert worden. Die Grenzen zwischen militanten Neonazis und rechten Skinheads konnten aufgeweicht werden.
Welche Dimension hat die bundesdeutsche Szene?
Weltweit ist sie eine der größten, mit einer hohe Dynamik und Reproduktionsfähigkeit. Populäre Neonazi-Untergrundbands wie Landser produzieren in fünfstelliger Auflage, über privates Kopieren und Partys multipliziert sich der Zuhörerkreis ins Sechsstellige. Die Gesamtauflage der CDs summiert sich auf über zwei Millionen.
Wer organisiert in Hanburg die geheimen Konzerte?
Die größeren Konzerte in Norddeutschland organisierte das internationale Terror- und Musik-Netzwerk Blood & Honour (B & H) und die Hammerskins. Sie verfügen über Systeme, mit denen sie Hunderte konspirativ mobilisieren können.
Besteht in Hamburg eine „rechte Subkultur“?
Ja. Im Hamburger Raum existiert eine der stärksten rechten Jugendkulturen der alten Bundesländer. Das Zusammenspiel zwischen Neonazikadern wie Christian Worch und Aktivisten aus der Jugendkultur wie Torben Klebe hat bestens funktioniert, so dass eine Infrastruktur aufgebaut werden konnte. Von Subkultur möchte ich dennoch nicht reden. Der Begriff platziert die Neonazis an einem gesellschaftlichen Rand, an dem sie längst nicht mehr sind.
Ende 2000 verbot das Bundesministerium des Innern die deutsche Sektion von B & H ...
Das war ein Schlag ins Wasser. Die B & H-Aktivitäten – die Konzerte, der Musik-Vertrieb, wie auch die paramilitärischen Übungen – spielten sich schon vorher im Illegalen ab. Es wurde ein identitätsstiftendes Symbol verboten, aber keine Struktur zerschlagen. Manche B & H-Versände haben nur den Namen und das Postfach gewechselt. Dass es nicht mehr ganz so einfach ist, Konzerte durchzuführen, macht die Szene nervös. Aber solange jeden Monat irgendwo ein größerer Nazi-Aufmarsch stattfinden kann, ist die Erlebniswelt gesichert. Interview: Andreas Speit
heute 19 Uhr, Amandastr. 58
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