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Viermal zwei Minuten

■ Heidi Harmann aus Oldenburg ist die neue Profi-Europameisterin im Box-Superweltergewicht. Nebenbei erforscht die Sportwissenschaftlerin ihren Sport.

„Mannsweiber“ sind gar nicht zu sehen, Männer so breit wie Schränke mit tätowierten Unterarmen eher die Ausnahme. Die Frauen haben so normale Berufe wie Rechtsanwaltgehilfin oder Intensivschwester. Das Publikum könnte einem Fußballstadion stehen.

Das Licht in der Turnhalle am Brandsweg geht aus, nur der Boxring wird angestrahlt. Es geht los: Frauen-Europameisterschaft im Profi-Boxen in Oldenburg. Ordana Sone aus Rumänien gegen Heidi Hartmann, Superweltergewicht. Vorher boxen Amateurinnen, auch vier Männer wollen sich in der Rangliste hochboxen. Die Regeln sind dieselben, außer dass Frauen „kurzrundiger“ boxen: zwei statt drei Minuten. Und dass nach jeder Runde ein Nummern-Boy um den Ring tänzelt. Spätestens dann grölt das Publikum.

Frauenboxen steckt noch in den Kinderschuhen. Dass die EM in Oldenburg stattfindet, liegt einzig an Heidi Hartmann. Der „Oldenburger Verein für traditionellen Budosport“, wo Heidi eigentlich mal Tae-Kwon Do gelernt hat, unterstützt ihre Kämpfe begeistert.

Der Boxring erinnert an eine Bühne. Den Kämpferinnen kann man ihre Anspannung ansehen. Der aggresive Blick wird eine Spur ängstlicher, wenn ein Treffer der Gegnerin droht; verhärtet sich beim Gegenschlag. Im Sekundenrhythmus traktieren sich die Frauen mit Schlägen. Erst der letzte Gong nimmt ihnen die Anspannung und plötzlich wirken die angsteinflößenden Boxerinnen, die sich eben noch vermöbelten, wie Freundinnen: Umarmen sich, akzeptieren den Sieg der anderen. Die Atmosphäre ist fast familiär.

Die Akzeptanz für das Frauenboxen ist neu. Dabei sind die Rotlicht-Zeiten längst passé. Die Kombination aus Taktik, Geschwindigkeit und Kraft gibt den Kämpferinnen den Kick. Debbie Lohmaier alias Dragon Debbie trainiert zweimal täglich, neben ihrem Zahntechniker-Job. „Die Weltmeisterin Regina Halmich ist meine Gewichtsklasse, und sie ist schlagbar“. Sie lächelt verschmitzt.

„Hey, warum hast Du einen Anzug an“, wundert sie sich. Die Nummern-Girls steigen im Bikini in den Ring. Der Nummern-Boy, Mister Oldenburg 2000 und Mister Stade in einer Person, gibt ihr recht. Nur leider hat er nichts Passendes dabei. Die Nummern-Girls können sich in der Bruthitze zumindest nicht beklagen, dass sie zu warm angezogen sind. Braungebrannt, im schwarzen, rotgeflammten Bikini, betritt eine Blondine den Kampfring. Die Menge grölt. „Noch eine Runde, ich habe das Schild nicht gesehen!“ Während eines Männer-Kampfes nippt sie an ihrem Wasserglas und rümpft die Nase: „Ich kann da nicht hingucken. Was ist das für ein Sport?!“ Aber Frauenboxen boomt. Seltener ist zu hören, dass Frauen für schönere Dinge bestimmt seien. „Meistens positiv“, fasst Heidi Hartmann die Reaktionen auf ihr noch exotisches Hobby zusammen.

Noch ein Stück Gleichberechtigung: Auch Frauen können jetzt Fleisch beschauen. Der Nummern-Boy hat doch noch eine Badehose aufgetrieben. Der Hauptkampf naht: Gorillaz' „Clint Eastwood“ dröhnt aus den Lautsprechern, Ordana betritt die Halle. Der Kampfrekord der 20-jährigen Studentin verzeichnet 17 Siege in 20 Kämpfen, fünf davon durch K.O. Japanische Instrumentalmusik erklingt – das Signal ans Publikum, „Heidi, Heidi!“ zu skandieren. Die Dreißigjährige Sportwissenschaftlerin promoviert über das Frauenboxen. Für den Budosport-Verein ist sie ein Zugpferd. Viele Mädchen haben sich durch sie ermutigt gefühlt, mit dem Boxen zu beginnen.

Nationalhymnen erklingen, von Handy-Klingeln begleitet. Die Boxerinnen versichern sich nochmal, dass ihre Mundstücke sitzen. „Box“, ruft der Ringrichter und der Kampf geht los. Vier Runden später schmeißt Ordana Sones Trainer das Handtuch. Das Urteil: Sieg durch technischen K.O. Das Publikum johlt. Die neue Europameisterin heißt Heidi Hartmann. Ihr Sieg wird dazu beitragen, dass Vorurteile gegen das Frauen-Boxen weiter aufbrechen, der Sport im Aufwind bleibt. Doch jetzt heißt es erstmal: Korken knallen statt Kloppen!

Mona Motakef

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