: Notwendige Verweigerung
Die Bündnissolidarität wird wieder einmal unkritisch zur Staatsräson erklärt. Aber ein Einsatz der Nato kann in Mazedonien weder Sicherheit noch Stabilität garantieren
Auf den ersten Blick ist „Essential Harvest“ eine Operation wie aus dem Lehrbuch: Zuerst die vereinbarte Waffenruhe, dann der politische Friedensabschluss unter internationaler Vermittlung – nun gilt es nur noch, die Waffen der Aufständischen einzusammeln und unschädlich zu machen. Was liegt näher, als eine neutrale Organisation damit zu betrauen? Kein neuer Hass würde gesät. Den Rebellen bliebe es erspart, sich vor ihren Feinden von gestern demütigen zu müssen. In Afrika, in Zentralamerika ist die UNO den Königsweg zur Beendigung von Bürgerkriegen schon erfolgreich gegangen.
Nun ist aber die Nato nicht die UNO, und in Mazedonien scheinen die Kontrahenten alles andere als kapitulationswillig. Selten waren sich Balkankenner und Militärexperten so einig: Das idyllische 30-Tage-Mandat geht an der Realität vorbei. Sind die Nato-Soldaten erst vollzählig im Land, dürfte es leicht fallen, sie zum Bleiben zu nötigen. Es genügt, die Waffenruhe nur massiv und kontinuierlich genug zu verletzen, um in Brüssel Handlungsdruck zu erzeugen. Werden die Erntehelfer dann unverrichteter Dinge wieder abziehen? Niemand, am wenigsten die Nato, will am Ende als Verlierer dastehen. Aber nur sie hat die Macht und die Mittel, es zu verhindern. Die militärische Dauerpräsenz in Mazedonien wäre die Folge – so wie die albanischen Separatisten es sich wünschen, um die mazedonischen Sicherheitskräfte davon abzuhalten, die „befreiten Gebiete“ zurückzuerobern und die Teilung des Landes noch abzuwenden.
Wird davon am Mittwoch im Bundestag die Rede sein? Offenbar sollen die Abgeordneten erst mal A sagen, ahnend, dass sie dann bald wohl auch B sagen müssen, doch in Unkenntnis gelassen, worin genau dieses B besteht. Wen wundert’s, wenn sich viele von ihnen für dumm verkauft fühlen? Klüger sind vermutlich nur die Stäbe in Brüssel. Sie würden ihr Handwerk schlecht beherrschen, hätten sie nicht für den Fall, dass der erste Plan fehlschlägt, den zweiten schon in der Schublade. Ohne den höheren Kräfteansatz, die länger Einsatzdauer, den entschlossenen Waffengebrauch wird es dann kaum noch abgehen, das Risiko des Blutvergießens eingeschlossen – Blutvergießen auf beiden Seiten.
Bisher ist noch jeder Balkan-Einsatz der Bundeswehr anders ausgegangen als ursprünglich versprochen. Im Kosovo wollte die Nato ein Jahr bleiben, sie steht dort im dritten Jahr. Gleichfalls auf ein Jahr befristet war die Bosnien-Mission, sie geht demnächst ins siebte Jahr. Auf seinem Jubiläumsgipfel von Washington hat das Bündnis verkündet, für welche drei Ziele es Kriege gegen Belgrad führte: Rückkehr aller Kosovo-Flüchtlinge und Vertriebenen (also auch der serbischen), sichere und normale Lebensbedingungen für alle Einwohner, Lösung der Statusfrage bei fortbestehender Souveränität der Bundesrepublik Jugoslawien. Ist ein einziges dieser Ziele verwirklicht?
Sollte die Mazedonien-Mission ebenfalls aus dem Ruder laufen, stellt sich auch die Mandatsfrage neu. Robuster Auftrag heißt Kampfeinsatz. Dafür reicht ein Nato-Beschluss nicht. Es war keine weise Entscheidung, die Vereinten Nationen wiederum vor der Tür zu lassen. Sicher – da gibt es das Einladungsschreiben des mazedonischen Präsidenten an die Nato. Aber solche Hilfeersuchen haben ihren unguten Beigeschmack. Die Invasionen sowjetischer Truppen in der Tschechoslowakei und in Afghanistan sind so begründet worden. Man muss nicht das Gespenst einer neuen Breschnew-Doktrin beschwören, um vor der Gefahr der weiteren sicherheitspolitischen Spaltung Europas in Einflusszonen und Interessensphären zu warnen. Etliche Krisenherde balkanischer Brisanz liegen entlang den russischen Grenzen. Dort sollte Moskau keinen Vorwand erhalten, westliche Alleingänge nachzuahmen.
Ehe erneut auf die militärische Karte gesetzt wird, müssen die verfügbaren politischen Mittel zur Kriseneindämmung ausgeschöpft sein. Die Übereinkunft von Ohrid war ein vernünftiger Anfang. Sie verheißt den mazedonischen Albanern Menschen- und Minoritätsrechte, die internationalen Standards entsprechen. Mehr können sie nicht verlangen. Das Dokument trägt die Unterschrift der demokratisch gewählten Vertreter beider Bevölkerungsgruppen. Es stempelt diejenigen, die, durch nichts legitimiert als die Macht ihrer Waffen, weitergehende Ansprüche verrechtlichen, zu Vigilanten und Desperados. An den Vermittlungsmächten ist es jetzt, dafür zu sorgen, dass die Allparteienkoalition in Skopje ihre Zusagen einlöst. Die politischen Hebel und ökonomischen Hilfen, auf die ein Not leidender Kleinstaat wie Mazedonien anspricht, halten sich in einem überschaubaren Rahmen.
Mit der UÇK steht es schwieriger. Niemand kennt ihre nächsten Ziele. Denn sie existiert nicht nur aus ethnischem Dünkel, der leicht zu Hass und Fanatismus entflammen kann – sie kämpft auch, weil sich Gewalt für sie rechnet. Ihre Versorgungsbasen und Rückzugsräume liegen im Kosovo, ihre Ausbildungscamps in Albanien. Im Kosovo ist die KFOR als Protektoratsmacht nicht nur berechtigt, sondern geradezu verpflichtet, die Unterstützung des Bürgerkriegs im Nachbarland zu verhindern. Das hat sie gestern versäumt und holt es heute nicht nach. Welchen Sinn macht es, Nato-Soldaten auszuschicken, um Waffen einzusammeln, die sich von dort nachliefern lassen, wo Nato-Soldaten schon sind? Das westliche Bündnis, so scheint es, ist weniger ein Teil der Lösung als ein Teil des Problems.
Bisher vergeblich hat die albanische Regierung um Unterstützung nachgesucht, ihre Grenze zu Mazedonien besser zu überwachen. Anders als die Berisha-Anhänger, die den nördlichen Teil Albaniens kontrollieren, sympathisiert das offizielle Tirana nicht mit der im Kosovo und in Mazedonien aktiven Guerilla. Sinnvoll wäre daher ein internationales Engagement nach dem Vorbild der präventiven Stationierung eines UNO-Kontingents, das hier zwischen 1993 und 1999 bereits gute Dienste leistete. Zugreifen lässt sich auch auf die Finanzquellen der militanten albanischen Kräfte. Sie liegen großteils in europäischen Diaspora-Ländern wie Deutschland, Österreich und der Schweiz. Dort die Alimentierung des Bürgerkrieges wirksam zu unterbinden ist eine noch ungenutzte Option.
Aber steht nicht über allem die Pflicht zur Bündnissolidarität? Seit dem Kosovokrieg wird die magische Formel gehandelt wie eine Ikone. Natürlich ist die Bundesrepublik Nato-Mitglied, natürlich schuldet sie ihren Verbündeten Solidarität. Solidarität bedeutet – siehe Nordatlantikvertrag – Beistand zur Abwehr eines bewaffneten Angriffs. Das ist das Gegenteil von Beihilfe zur Führung eines bewaffneten Angriffs – und etwas anderes als Gefolgschaft bei militärischen Vorhaben von zweifelhaftem Nutzen für Sicherheit und Stabilität.
Zur deutschen Beteiligung an „Essential Harvest“, so heißt es, gibt es keine Alternative. Wie wäre es mit Nichtbeteiligung? Vor zwei Monaten noch war dies die Berliner Regierungslinie. Die guten Gründe dafür bestehen fort. REINHARD MUTZ
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