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„pro musica nova“ ade?

■ Radio Bremen stellt die traditionsreichen Festivals für neue und alte Musik auf den Prüfstand. Könnte sich der Sender einen solchen Profilverlust leisten?

Die Gerüchte um substantielle Budget-Beschneidungen der beiden Radio-Bremen-Biennalen „pro musica nova“ und „pro musica antiqua“ werden immer dichter. Im kommenden Jahr wäre das Festival für zeitgenössische Musik an der (Sende-) Reihe – doch daran glauben immer weniger.

In guten Zeiten hatte die „pro musica nova“ einen Etat von 280.000 Mark. Gute Zeiten der „pro musica nova“ waren auch gute Zeiten für Radio Bremen. Seit Beginn der 60er Jahre machte der kleine Sender mit seinen Uraufführungen Furore, die Liste der seit 1961 aufgeführten Werke liest sich wie ein „Who is Who“ der zeitgenössischen Musikprominenz: Stockhausen, Ligeti, Kagel, Cage, Boulez, Yun, Schnebel – und so weiter. Auch die amerikanischen Minimalisten wie Philip Glass und Steve Reich wurden durch Radio Bremen in Europa bekannt.

Entsprechend geharnischt ist die Protestwelle, die zur Zeit die Intendanz von Radio Bremen erreicht. Von einem „dumpfen Gleichschritt der kulturellen Umnachtung“ spricht etwa Matthias Kaul vom Ensemble „L'art pour L'art“ bezüglich der Einsparungsabsichten. Die Bremer „Projektgruppe Neue Musik“ reagiert mit „Unverständnis und Entsetzen“. Es sei in keiner Weise nachvollziehbar, warum gerade die Aktivitäten von Radio Bremen abgewickelt würden, die zur „spezifischen Profilbildung seit nunmehr 40 Jahren“ beigetragen hätten. Den offenen Brief der Projektgruppe an Intendant Heinz Glässgen hat auch György Ligeti unterschrieben.

Neben der Sorge um internationale Ausstrahlung treibt die Szene auch die Angst um ihre eigene Existenz um. Partner von Radio Bremen sind unter anderen die Kammerphilharmonie, die Glocke, das Musikfest, die Hochschule und kleinere Konzertveranstalter. Für sie alle wird es schwierig, wenn die Mitschnittshonorare von RB wegfallen – aber auch die Unterstützung durch Image-Gewinn und Publicity. Noch unmittelbarer sind die Musikproduzenten selbst betroffen

Der Bremer Komponist Uwe Rasch bringt es auf den Punkt: „Bremen wird für Künstler immer unattraktiver. Man kann Komponisten nur raten: Haut so schnell wie möglich ab von hier.“

Natürlich nicht gerade in's NDR-Gebiet – dort gab es lange Zeit nicht einen einzigen Redakteur für Neue Musik – aber nach Köln, Stuttgart oder München, wo die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten noch Aufträge erteilen.

Uwe Rasch hält auch das Argument fehlender Massenwirksamkeit für hinfällig: „,Pro Musica Nova' ist für Radio Bremen genauso profilbildend wie ,buten un binnen' – das würde ja auch niemand streichen wollen.“

In der Tat ist das Festival maßgeblich verantwortlich für den internationalen guten Ruf Radio Bremens. Die Statistik der in Tokio, Toronto, London, Warschau und anderen Metropolen gesendeten Mitschnitte belegt das eindrucksvoll.

Offiziell beharrt Radio Bremen weiterhin darauf, dass noch nichts entschieden sei. Pressesprecher Michael Glöckner erklärt: „Wir sind auf der Suche nach Partnern. Zur Zeit sind Musikredakteure mit dem Musikfest beschäftigt, aber dann werden bald Entscheidungen fallen.“

Fraglich erscheint allerdings, ob nicht schon jetzt der Zeitpunkt verpasst ist, an dem noch eine sinnvolle Festivalplanung möglich wäre – bis zum Beginn des Festivals im Mai 2002 sind es nur noch neun Monate.

Nicht nur inhaltlich, auch organisatorisch stehen bei der bisherigen Radio Bremen Zwei-Welle substantielle Veränderungen an. Die Musikredaktion wird Ende Oktober in die neu zu gründende Redaktion des „NordWestRadios“ überführt, wo ihr allerdings weit weniger Sendezeit als bisher zur Verfügung stehen wird.

Vom Abbau in Form der 150 schon gestrichenen Stellen sind die MitarbeiterInnen bisher nicht betroffen. Doch die Überführung in eine neue Redaktion bei schrumpfendem Sendevolumen lässt für die Zukunft weitere Einsparungen befürchten. HB

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