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Im fremden Land

Die Ausstellung „Juni 1941. Der tiefe Schnitt“ zeigt im Deutsch-Russischen Museum die gravierenden Auswirkungen des Krieges auf 24 Lebensläufe

von ANDREAS HERGETH

Die „Tiroler Holzhackerbuan“ auf Russisch hören sich exotisch an. Einmal singt die russische Stimme auf Deutsch: „Da steht ’ne Kuh, die macht das Auge auf und zu.“ Die Aufnahme wurde in Moskau 1956 vom so genannten „Estraden-Orchester Eddi Rosner“ eingespielt und ist im Deutsch-Russischen Museum Berlin-Karlshorst zu hören. Alte Schwarzweißfotos und knappe Texte stellen daneben das Leben von Orchesterchef Adolf „Eddi“ Rosner dar, eine von 24 Biografien, die die Ausstellung „Der tiefe Schnitt“ erzählt.

Die Geschichten von Tätern, Helfen, Opfern geben den historischen Ereignissen des Zweiten Weltkriegs ein Gesicht: Der Soldat, der den Kriegsbeginn nur um Monate überlebte, der Staatssekretär, der den Hungertod plant, der sowjetische Kriegsgefangene, der die Qualen der deutschen Gefangenschaft überstand und nach der Rückkehr als Verräter gebrandmarkt wurde. Und der Jazzmusiker Adolf Rosner, der sich später Eddi nennt.

Rosner, in Hamburg als Sohn eines jüdischen Kaufmanns geboren, war Mitglied Berlins bekanntester Jazzband „Weintraubs Syncopators“ und floh bei Machtantritt der Nazis in die Sowjetunion. Hier gründete er das „Staatliche Jazzorchester der weißrussischen Sowjetrepublik“, trat vor Stalin auf und wurde zum führenden Jazzmusiker des Landes. Doch nach Kriegsende fiel der deutsche Jude, der amerikanischen Jazz spielte, in Ungnade. Rosner wollte das Land verlassen, wurde inhaftiert und 1946 zu zehn Jahren Lagerhaft verurteilt. Im Gulag leitet er das Lagerorchester. Wieder in Freiheit, gründet „Eddi“ eine Big Band, die in den 60er-Jahren zu den populärsten Unterhaltungsorchestern der Sowjetunion aufstieg. Seine Ausreisewünsche werden immer wieder ignoriert, erst 1973 darf Adolf Rosner nach Westberlin umsiedeln. Doch wer kannte noch den besten Jazzmusiker aus der Sowjetunion?

Bei der eindrucksvollen Ausstellung wie dem Begleitband „Der tiefe Schnitt“ steht die Zeit nach dem Krieg im Mittelpunkt des Interesses: Die Aussöhnung mit dem ehemaligen Feind oder das Leben im fremden Land.

Dargestellt werden Biografien von Unbekannten und von Prominenten wie Konrad Wolf oder Lew Kopelew. Joseph Beuys, als Sturzkampfflieger im Einsatz, schrieb in einem Feldpostbrief 1943 an seine Eltern: „Ich habe mich entschlossen, nach dem Krieg den Bildhauerberuf zu erlernen.“

Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst (Hg.): „Der tiefe Schnitt“. Espresso Verlag Berlin, 178 S., 36 DM; Ausstellung bis 30. 9., Di.–So. 10–18 Uhr, Zwieseler Straße 4, Karlshorst

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