Die Nase, die der Krieg schuf

Schriften zu Zeitschriften: „Spruce*“, die neue Wild Card im Feld der Modezeitschriften, ist einer gesellschaftlichen Wirklichkeit auf der Spur, die seine Macher als eine schon globalisierte verstehen

Sonst aber bleibt der Körper in „Spruce*“ glücklicherweise außen vor

von BRIGITTE WERNEBURG

Ganz so radikal ist der Bruch mit dem Herkömmlichen dann doch nicht. Ganz wird von Label, Logo und Brand Name nicht auf Schnittmusterbogen umgestellt. Selbst wenn die Musterbögen a. und b. prominent in das erste Heft eingehängt sind; a. für eine Cordsamthose und b. für einen A-Linien-Rock. Beide wurden im Juli in Mailand von Paulo Melim entworfen. Die Anweisung des Philosophen George Spencer Brown aber, „Mache eine Unterscheidung! Draw a distinction!“, ist auch hier die grundlegende Operation, die die neue Modezeitschrift Spruce*, die übermorgen an die Kioske kommt, auf den Begriff bringt.

Jung, weiblich, ledig: auf der Suche nach Mr. Right und/oder der grandiosen Karriere, das gilt nicht mehr. Niemand wird daher mit jenen berühmt-berüchtigten, entsetzlich bescheuerten Ratgeber- und Psychotestseiten zu Sex und Beruf zu ködern versucht. Spruce* definiert seine Zielgruppe als Leute ab 30 Jahren aufwärts. Es geht um Kleidermode und sonst nichts; für Männer und Frauen gleichermaßen, eine Geschlechtertrennung gibt es nicht. Zweimal im Jahr, jeweils zu Saisonbeginn im Frühjahr und im Herbst, kommt das Heft in Buchstärke heraus. Es ist einer gesellschaftlichen Wirklichkeit auf der Spur, die seine Macher als eine schon globale verstehen. Die weltweiten Modenachrichten stammen daher nicht nur aus Europa, Amerika oder Asien. Die Zeitschrift kennt auch „Africa/Middle East News“. Selbst mit Amerika hat es seine besondere Bewandtnis, insofern es die Redaktion nur im Plural kennt, als die „Americas“. Entsprechend wird über Buenos Aires oder São Paulo genauso wie über New York berichtet. Dass man am besten gleich den Währungsumwechsler auf my.yahoo.com einschaltet, will man über die Preise informiert sein, ist die eine Sache. Dahinter zukommen, um welches Geld es sich überhaupt handelt, bei all den Abkürzungen von ATS, über ARP oder TRL bis zu SEK, ist eine ganz andere. Wer nicht der weltläufige Metropolenbewohner ist, dem die Vereinheitlichung von zwölf Währungen zum Euro gar nicht auffällt, weil sich sein Münzgeld viel globaler ansammelt, der wird es lesenderweise.

Spruce*, was im Englischen einmal heißt, sich gut herzurichten, zum anderen aber auch die Rottanne bezeichnet, einen Baum, den man mit Skandinavien, aber auch mit Japan assoziiert, also mit einer klaren, puristischen Ästhetik, will „das ultimative Nachschlagewerk für Leser beiderlei Geschlechts sein, die sich einen vollständigen und vor allem informierten Überblick über die gesamte Saison verschaffen wollen“. Das, sagen der Ideengeber und Redaktionsdirektor und das Wild-Card-Sternchen am Ende des Namens, deutet nicht nur darauf hin, dass Spruce* ein Abkömmling von Wallpaper* ist, sondern dass der Mann dahinter folgerichtig Tyler Brûlé heißt. Der im kanadischen Winnipeg geborene Journalist hatte das Wallpaper-Magazin, das international zum Inbegriff modernen Lifestyles geworden ist, 1996 gegründet, nachdem er zwei Jahre zuvor in Afghanistan bei einer Recherche über Ärzte ohne Grenzen angeschossen worden war. Dabei wurde er am linken Arm schwer verletzt. Von seinem deutschen Auftraggeber erhielt er einen großzügigen Scheck von der Versicherung, das beteiligte englische Magazin beließ es bei einem in die Klinik gelieferten Fresskorb. Er war es, der in Brûlé den Wunsch weckte, künftig sein eigener Chef zu sein.

Auf diesem Weg brachte ihn dann erstaunlicherweise neuerlich die Frage des Essens weiter. Sein Arzt hatte ihm nämlich empfohlen, viel zu kochen, damit er beim Hantieren mit den Küchengeräten seinen kaputten Arm trainieren könnte. Als Brûlé auf seiner Suche nach Zeitschriften, in denen es um Essen, Haushalt und Einrichtung ging, kein einziges ansprechendes und anspruchsvolles Magazin fand, war die Idee für Wallpaper* geboren.

Heute wird Wallpaper*, dem die Anzeigenkunden das Haus einrennen, bei einer letztlich kleinen Auflage von nur 140.000 Exemplaren an den Kiosken von allerdings beachtlichen 60 Ländern angeboten. Dieses ausgedehnte Vertriebsnetz nutzt auch Spruce*. Trotz Vogue und ihren internationalen Töchtern glaubt Tylor Brûlé, hätten es „die bereits bestehenden Magazine versäumt, Kapital aus der Globalität der Mode zu schlagen“. Als weltweit brauchbares Nachschlagewerk sieht sich das Modemagazin einem nüchternen, informativen Heftdesign verpflichtet. Daher sind die Modefotos zum Beispiel so angelegt, dass alle Details deutlich zu sehen sind, bis zu den Knöpfen und Gürtelschnallen. Freilich wird nicht nur die Mode in solcher Präzision präsentiert. Auch den Maschinen, die in San Maurizio für Max Mara die Knöpfe annähen, in Bregenz für Wolford Trikotstoff weben oder für Prada mit Lasertechnik das Leder zuschneiden, ist eine große Bildstrecke gewidmet. Zunächst meint man, es handle sich um die Ausstellung in der Kunsthalle Baden-Baden, in der Tim Rauterts berühmte Fotografien aus der industriellen Arbeitswelt zu sehen sind. So nahe an den zeitgenössischen Kunstbetrieb kommt also das Heft.

Eher flach ist ein Artikel, in dem man erfährt, wer die Aktien der großen Modelabels hält. So hat etwa das Texas Teacher Retirement System Anteile an Louis Vuitton. Auch die Aussagen von Analysten internationaler Banken und Anlagefirmen, in welche börsennotierten Brands sie investieren, bleiben dünn. Dafür entschädigt die höchst politische Reportage über die boomende Schönheitschirurgie im Iran. In Scharen lassen sich die Frauen, denen es verboten ist, in der Öffentlichkeit zu singen, zu tanzen oder Make-up zu tragen, ihre Nasen in „europäische“ Näschen verkleinern. Offensichtlich wird diese westliche Dekadenz geduldet. Es könnte damit zusammenhängen, dass auch hier der Krieg der Vater aller Dinge ist. Schließlich erlernten die über hundert in Teheran niedergelassenen Schönheitschirurgen ihr Handwerk im iranisch-irakischen Krieg, in dem sie die Soldaten zusammenflicken mussten. Eine Inhaberin eines Kosmetiksalons schätzt, dass 70 Prozent ihrer Kundinnen eine Nasenoperation hatten. Sonst aber bleibt der Körper in Spruce* glücklicherweise außen vor. Es interessiert nur, was den Körper bedeckt. Das heißt, die elenden Kosmetikstrecken, die den Körper stets nur als imperfekten, Cellulitis-geplagten, des Sports bedürftigen, schon mit zwanzig rapide alternden Körper kennen, fehlen – jedenfalls im ersten Heft. Man möchte hoffen, es bleibt so.

„Spruce*“, Heft 01, Autumn/Winter 2001, 21 Mark