: Badehose bei minus 60 Grad
■ Kältekammer im Zentralkrankenhaus Ost: Bei minus sechzig Grad fühlen sich Rheumapatienten richtig wohl. Fußballer wollen den Gefrierschock als Doping nutzen
Die Vorstellung klingt absurd: ein Spaziergang - leicht bekleidet - bei minus 60 Grad, und das Ganze soll sogar gesund sein! Vielleicht glauben das sibirische Gefängniswärter, die mit dieser Idee ihre Häftlinge schikanieren wollen, aber seriöse Mediziner?
Das Bremer Zentralkrankenhaus Ost bietet diesen Härtetest seit einer Woche im Rahmen seiner physikalischen und rehabilitativen Therapie zur Schmerzbehandlung an. Unter anderem werden Patienten mit Rheumaerkrankungen, orthopädischen oder dermatologischen Krankheitsbildern in die Gefriertruhe geschickt. Nur mit Badesachen, Handschuhen und festem Schuhwerk, sowie Mund- und Ohrenschutz bekleidet tauchen sie bis zu drei Minuten in den Alltag eines Eisbären ein. Anstatt im frostigen Pendant zur Sauna zu erfrieren, verlassen sie völlig entspannt den vier Quadratmeter kleinen Raum. Magie? Totale Beherrschung durch Meditation? Oder einfach nur Betrug?
Ein Selbstversuch soll das Geheimnis lüften. Es ist keine Vorbereitung für den Schritt in die arktische Kälte nötig. Das erste Empfinden überrascht. Die Zähne fangen nicht an zu klappern, der Körper zuckt nicht sofort zusammen. Es ist eher die Kühle eines frischen Herbstmorgens, die einen umgibt. Der Nebel verstärkt den Eindruck. Es schneit ein bisschen. Die ganze Zeit in Bewegung bleiben, hat der Arzt gesagt. Nach ein paar Minuten ist dennoch Schluss. Beim Ausstieg wird es angenehm warm auf der Haut. Kein Zittern und kein Bibbern, selbst ein Umzug an den Polarkreis scheint nicht mehr ausgeschlossen.
„Dieses wohlig warme Gefühl beschreiben fast alle Patienten, die zum ersten Mal in der Kammer waren“, meint Dr. Rudolf Siegert, leitender Arzt der Abteilung für Physikalische und Rehabilitative Medizin im Krankenhaus Ost. Auch dass die niedrige Temperatur nicht als klirrend kalt gespürt wird, ist für ihn nicht ungewöhnlich. „In dem Raum herrscht eine sehr trockene Kälte, die Sie jedoch im Verlauf der Behandlung richtig spüren“, weiß Siegert. Wie lange der Aufenthalt menschenverträglich ist, ist nicht bekannt, da derartige Rekordversuche nicht angestellt wurden. Der Arzt ist von den Erfolgen der eisigen Behandlungsmethode überzeugt. „Mit der Therapie können natürlich keine Wunder vollbracht werden, aber Schmerzen werden erheblich gelindert“, meint Siegert. Es sei eine wohltuende Ergänzung zum restlichen Behandlungsprogramm. Zwei bis drei Stunden fühlten sich beispielsweise Rheumaerkrankte nach dem „polaren“ Spaziergang schmerzfrei. „Ideal, um anschließend die Krankengymnas-tik durchzuführen“, hat der Arzt erkannt. Rheuma und Kälte? Bislang sollten die Beschwerden doch immer mit Wärme behandelt werden? „Die Kälte blockiert die Rezeptoren, so dass sich der Körper entspannen kann und das Schmerzempfinden für eine Weile ausgeschaltet ist“, erklärt Siegert vereinfacht.
Die Ganzkörper-Kältetherapie sei zunächst in Japan entwickelt worden und setze sich langsam auch in Deutschland durch. Es gebe hierzulande inzwischen ca. 60 Kältekammern und seit einer Woche die erste in Bremen. Etwa 300.000 Mark musste das Krankenhaus dafür investieren. Eine private Anschaffung einer Eissauna ist nur schwer zu realisieren, zumal der Energieaufwand die Stromkosten ordentlich in die Höhe treibt. „Der FC Bayern überlegt, sich eine Kältekammer zu leisten“, hat Siegert von einem Kollegen gehört. Das Leistungsvermögen von Spitzensportlern werde durch trainingsbegleitende Aufenthalte im Kühlraum gesteigert. Das Kältedoping im Bremer Exemplar will Oberligist FC Oberneuland ausprobieren. „Ein interessantes Experiment, doch in erster Linie steht die Kammer schmerzgeplagten stationären und ambulanten Patienten zur Verfügung“, betont Siegert, wobei die ambulante Klientel aus eigener Tasche für die Kosten aufkommen müsse. Eine Serie von zehn bis 20 Behandlungen empfiehlt der Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin. Siegert selbst ist jedenfalls von dem Frostzimmer überaus begeistert. Statt in der Sauna dürfte der Arzt regelmäßig bei minus 60 Grad entspannen.
Florian Fiene
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