: Die Capitalen liegen auf Eis
Die Gesellschafter der Deutschen Eishockey-Liga entscheiden heute über das Schicksal des hoch verschuldeten Proficlubs Berlin Capitals. Alles andere als ein Lizenzentzug wäre überraschend. Denn nicht einmal die Miete für die gerade extra für das Team umgebaute Deutschlandhalle kann der Club zahlen
von MARKUS VÖLKER
So sehen also Karteileichen aus. 24 Stapel mit Autogrammkarten lagern in der Geschäftsstelle der Berlin Capitals in der Deutschlandhalle. 16 Konterfeis aber sind mit der weißen Rückseite zugedeckt wie Verstorbene mit einem Laken. Es sind jene Spieler, die sich schon von dem Verein verabschiedet haben. Sie wollten nicht erst warten, bis auch er das Laken übers Gesicht gezogen bekommt. Heute entscheidet die Gesellschafterversammlung der Deutschen Eishockey-Liga (DEL), ein Gremium aus Vereinsvertretern, über den Verbleib des Eishockeyclubs in der Liga. Schon vor einer Woche beschloss der Aufsichtsrat der DEL, den Berlinern die Lizenz zu entziehen.
Ein Dutzend Spieler wollte gestern Vormittag dennoch aufs Eis der Deutschlandhalle. Aber sie hockten nur im Vorraum der Büros herum. Die Senatsverwaltung hat ihnen das Eislaufen untersagt, weil kein Geld für die Hallennutzung gezahlt wurde. Es handelt sich um 340.000 Mark. Fast 10 Millionen Mark haben der Berliner Senat und die Messegesellschaft springen lassen, um die alte Konzertarena auf Eis zu legen, eigens für die Capitals, deren alter Spielort abgerissen wurde. Erst seit gut zwei Wochen glänzt das Eis.
„Die Capitals haben sich schon in der Vergangenheit nicht durch Verlässlichkeit ausgezeichnet“, sagt nun Rita Hermanns, Sprecherin der Bauverwaltung. „Und wenn sie aus den Planungen für die Deutschlandhalle fallen würden, wäre das kein Problem für uns.“ Denn zu 84 Prozent werde die Halle von Amateursportlern genutzt. „Die Breitensportler hätten dann eben mehr Zeit zum Training“, so Hermanns.
Mehr Zeit für andere Beschäftigungen droht derweil den Profis. Die Situation sei unglaublich, sagt der kanadische Stürmer Yvon Corriveau, und ja, er habe trotzdem noch Hoffnung, sonst hätte er nicht so lange ausgeharrt. Er hat einen weiteren Grund, in der Hauptstadt zu bleiben: Die Vorortkonkurrenz Berliner Eisbären will ihn verpflichten. Kontakte bestehen auch zu Stürmer Ilja Worobjew. Noch lächeln beide unverhüllt auf ihren Autogrammkarten.
Selbst Pressesprecher Hans Peter Harbig ist recht guter Laune. Nicht ohne Grund, denn er hat nach Monaten endlich einen Teil seines Gehalts bekommen. „Heute morgen war’s auf dem Konto“, freut er sich. Der Ausblick auf die heutige Entscheidung in Köln jedoch vergällt ihm die Stimmung. „Wir haben einen schlechten Stand, wir haben alle verärgert, ganz klar: Wir waren der Elefant im Porzellanladen.“ Weil das so gewesen sei, erwarte er auch eine ablehnende Haltung der Gesellschafter, die freilich nur den „moralischen Zustand“ bewerteten.
Das stimmt nicht ganz, die Fakten sind weit schlimmer als die üble Gemengelage aus Lüge, Verzögerungstaktik und Vertröstung, die der Klub in den letzten Monaten schuf. Fakt ist: Die Capitals haben keine spielfähige Mannschaft. Sie haben keine Halle. Sie haben kein Geld. „Ein unerträglicher Zustand“, findet Harbig. Selbst wenn die DEL Gnade walten lässt, werden die Caps zur Schießbude der Liga, zumindest in den ersten Pflichtspielen. „Sicherlich würden wir zuerst mal die Hucke voll kriegen“, sagt Harbig.
Doch von den sportlichen Aussichten wird derzeit kaum gesprochen. Vielmehr jonglieren die aufgescheuchten Vereinsvertreter in der improvisierten Pressekonferenz wieder einmal mutig mit Zahlen. Diverse Beträge wabern durch den Raum, die folgendes Gebilde stützen sollen: Um den Konkurs abzuwenden, gründeten die Capitals eine neue Kapitalgesellschaft. Der fehlt es aber an Geld. 10,6 Millionen müssten her, bestimmte die DEL. Egon Banghard, der Capitals oberster Geldgeber, der mit Immobilien Geschäfte macht, konnte aber nur Belege über angebliche Überweisungen dieses Betrags vorweisen.
Überdies kam die Geschäftsführung der Capitals nicht an das Geld heran. Nach den Statuten der DEL muss diese aber freien Zugriff auf das eingezahlte Geld haben. DEL-Geschäftsführer Gernot Tripcke weist darauf hin, dass es sich die Liga auf keinen Fall leisten kann, einen Club während der Saison zu verlieren. Gerd Schröder, Vorsitzender des Aufsichtsrates der DEL, sagt: „Die wirtschaftlichen Verantwortlichkeiten dürfen nicht verwischt werden.“ Er möchte einen „langfristigen Förderungsgedanken“ bei jedem DEL-Mitglied erkennen.
Derzeit kreisen die Gedanken der Capitals aber nur im Hier und Jetzt. Es geht um schnelle Tilgung der Schulden. Noch vor dem Treffen der Gesellschafter sollte das Finanzamt 4,1 Millionen Mark erhalten, knapp 2 Millionen sollten an die Berufsgenossenschaft fließen und weitere 2 Millionen an Gehältern gezahlt werden – an noch vertraglich gebundene Spieler und Mitarbeiter. Wenigstens konnte der Club die Altschulden bei der Messe Berlin (200.000 Mark) für seine frühere Halle tilgen, auch die Insolvenzanträge der AOK und einiger Spieler sind vom Tisch. Doch ob das Geld für die Millionenbeträge da ist, kann auch Capitals-Geschäftsführer Andreas Fettchenhauer nicht sagen. „Vertrauenserweckung durch prompte Zahlung“ nennt er seinen Plan zur Rettung des Klubs. Dazu gehöre „eine Komplettausschüttung. Dann werden alle befriedigt sein.“
Aber nur prall gefüllte Geldsäcke können ausgeschüttet werden. Immerhin ist Fettchenhauer zuversichtlich: „Wir haben Glück, der Dienstag ist ja immer ein langer Banktag.“ Er habe Nachricht davon, dass eine Klärung unmittelbar bevorsteht. „Wir wollen 8 Millionen in Gang bringen.“ Das wollten die Capitals schon vor Wochen. Seither wird die Krise verwaltet. Vereinsanwalt Joachim Börner glaubt, mit juristischen Kniffen eine Wende zum Guten schaffen zu können. Falls der Lizenzentzug bestätigt wird, rechnet er sich vorm Schiedsgericht der DEL gute Chancen aus.
Trotz der verfahrenen Situation hat sich Mäzen Egon Banghard nicht in Berlin sehen lassen. Über einen Mittelsmann, der in Zukunft – wenn es denn eine gibt – als „Controller“ arbeiten soll, spinnt er die Fäden. Denn die Capitals sollten für ihn das Feld für sein eigentliches Geschäft planieren, den Handel mit Immobilien. Erst im Mai hatte Banghard eigene Pläne für den Neubau einer Halle auf Eis gelegt. Gemeinsam mit dem milliardenschweren US-Amerikaner Philip F. Anschutz, dem nebenbei die Eisbären Berlin gehören, will er nun nahe dem Berliner Ostbahnhof eine Eisarena für 16.000 Zuschauer errichten. Bis 2004 soll sie fertig sein. Zur Not auch ohne die Caps. „Dann gibt es eben ein paar Spieltage weniger“, meint Eisbären-Sprecher Moritz Hillebrand. An wackligen Kandidaten sei man jedenfalls nicht interessiert.
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