harald fricke über shopping : Ein Krummsummenspiel
Hans Eichel zündet Gerhard Schröder mit bunten Geldscheinen eine Zigarre an – und bald kommt mit Urknall der Euro
Es ist Dienstagmorgen, Viertel nach vier. Wir sind schon ein paar Stunden unterwegs, feiern, und jetzt ist das Geld ausgegangen. Wir suchen den nächsten Bankautomaten, die ec-Karte schnurrt in den Schlitz, der Vorgang wird bearbeitet. Doch am Ende der Transaktion stehen wir verdutzt da: Das Gerät hat lauter gelbe und grüne Scheine ausgeworfen. Sie sehen komisch aus, schwedisch. Meine Begleitung kichert: „Mensch, das sind Euros.“ Und ich blöke: „Ist ja auch Silvester.“ Dann gehen wir zurück in die Kneipe. Drinnen fliegen blaugelbe Luftschlangen über den Tresen, Leute fassen sich an den Po und wackeln zu Techno die Tische entlang. „Ab jetzt wird jeder Schnaps abgerundet, nur drei Mark, die restlichen fünfzig Pfennig gehen auf mich“, schreit der Wirt ins Getümmel.
Plötzlich fängt der ganze Raum an sich zu drehen, aus den Tapeten tropft glibberiger Schleim, der Barkeeper verwandelt sich in Hans Eichel und zündet Gerhard Schröder mit den bunten Geldscheinen eine Zigarre an. Beide greifen dann nach meiner Hand und zerren mich irre gackernd in den Keller. Kurz vor der Treppe reißen sie mir die hautartige Beschichtung vom Gesicht. Es ist nicht mein Kopf, sondern der von Günther Jauch, untenrum trage ich auf einmal froschgrünfarbene Frotteeunterhosen. Dann wache ich auf, völlig abgekämpft und verschwitzt. Draußen ist Samstag, der 25. August. Noch 128 Tage bis zur Einführung des Euro.
Wenn man Träumen glauben darf, habe ich ein Problem: mit Schröder, Eichel, Jauch und all den anderen, die mich sonst was wollen, jaja, und ganz sicher auch mit der Umstellung auf die neue Währung. Vielleicht ist es sogar Angst. Es stimmt, ich fürchte mich davor, dass ich lauter Fehler machen werde, wenn der Euro kommt. Schon jetzt blicke ich nicht mehr durch, was auf den Preisschildern bei Karstadt oder an der Wursttheke von Kaiser’s steht.
Bei manchen Produkten sind die Zahlen ganz groß aufgedruckt, als wären es Sonderangebote. Aber in Wirklichkeit sind das nur die Umrechnungssummen in Euro, und an der Kasse habe ich ein Glas mit sauteurer „Chivers Olde English Grob Cut Orange“ auf dem Förderband. Dabei mag ich gar keine bittere britische Orangenmarmelade, nur der Preis sah so lecker aus. Als ich vor ein paar Tagen in der Parfümerie war, sagte die Frau am Kosmetikcounter: „Das sind dann 56 Mark 18.“ Der Kleckerbetrag hinter dem Komma passte aber überhaupt nicht zum Aftershave von Paco Rabanne, die angehängten Pfennige machten für einen Moment aus dem lieb gewonnen Markenartikel ein muffiges No-Name-Produkt.
Habe ich den Anschluss verpasst? Seit April schon reisen Busladungen voller Euromäuse durch die Republik, um Kinder mit Schoko-Euros zu bewerfen. Ich aber weiß gar nichts über den Währungswechsel: Die Kupfer-Aluminium-Zink-Zinn-Legierung hielt ich für eine exquisite Autofelgenbeschichtung von Mercedes, nicht für die Zusammensetzung der Metalle beim 50-Cent-Stück; dass der 20-Euro-Schein mit einem Fenster aus der Gotik gestaltet ist, war für mich eher ein Thema für Kunsthistoriker; und bei „Big Bang“ dachte ich bislang an den Urknall, aber nicht an die amtliche Bezeichnung für die Umstellung auf Euros, die am 1. Januar stattfindet.
Doch zum Glück gibt es Institutionen, die helfen, damit es zwischen mir und dem Euro besser klappt. Da ist zum Beispiel diese Plakatwand von www.muenzwert.de, auf der ein riesiges Markstück abgebildet ist: „20 Euro für diese Münze“, in schwarzen Lettern geschrieben, darunter orange die Serienmarkierung „J und 1968“. Wenn ich eine solche Münze finde, kann ich sie an Sammler verkaufen, der derzeitige Kurs liegt bei 19,94 Euro, das sind schöne ebenmäßige 39 Mark. Ganz trauen mag ich dem Suchspiel jedoch nicht, immerhin wurden 1968 allein 1.337.727 Millionen Markstücke hergestellt, 21 Prozent davon in der mit J bezeichneten Prägeanstalt Hamburg. Das macht immer noch über 267.500 Münzen – wo liegt da der Seltenheitswert?
Die Bedenken sind da. Wahrscheinlich ist die ganze Angelegenheit bloß wieder ein Trick. Irgendwie muss die Deutsche Bundesbank ja immerhin noch 28 Milliarden kursierende DM-Münzen eintreiben, bevor vom 1. März 2002 an der Euro als alleiniges Zahlungsmittel gilt. Und weil man erklärt hat, dass die Umstellung ohne viele Mühen vonstatten gehen wird, versucht man jetzt, die Leute spielerisch zum Mitmachen zu animieren. Für die Aktion „Her mit den Schlafmünzen“ darf Günther Jauch die Bevölkerung in Werbespots ermahnen, das Kleingeld zur Bank zu bringen. Hans Eichel erzählt derweil, dass mit dem Euro die Preise sinken werden, wegen der abgerundeten Beträge. Das hat auch die Berliner BVG gesagt – und im August die U-Bahn-Monatskarten um 5 Mark erhöht, auf runde 110 Mark, die ab Neujahr 56,24 Euro sind. Alles in allem eine krumme Sache also. Mal sehen, wie ich die noch verbleibenden 123 Nächte schlafe.
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