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Neue Aussichten in Wolfsburg

Jetzt also doch: VW schafft mindestens 3.500 neue Arbeitsplätze für Arbeitslose – allerdings mit weniger Geld und längerer Arbeitszeit als bisher üblich

aus Hannover JÜRGEN VOGES

Siebzehn Stunden hatte die letzte Verhandlungsrunde gedauert, und nach der durchwachten Nacht war der Verhandlungsführer der IG Metall voll des Lobes für die eigene Leistung. Der Tarifabschluss für die neue Volkswagen-Tochter „Auto 5000 GmbH“ sei „ein Ergebnis im Interesse der Arbeitslosen und der Beschäftigten“, sagte der Gewerkschafter Holger Meine. Der Grundgedanke, „durch tarifvertragliche Regelungen Arbeitslose einzustellen“, könne auch bei anderen Unternehmen Schule machen.

Vor zwei Monaten erst hatte der IG-Metall-Vorsitzende Klaus Zwickel im gleichen Verhandlungshotel am hannoverschen Flughafen noch persönlich das Scheitern der Tarifgespräche über das VW-Projekt erklärt, 5.000 neue Jobs mit jeweils 5.000 Mark Monatsgehalt zu schaffen. Damals galt es in der Gewerkschaft noch als ausgemacht, dass VW mit dem Projekt die 35-Stunden-Woche aushebeln und damit nicht nur die hohen Standards des VW-Haustarifs, sondern auch den Metall-Flächentarifvertrag unterlaufen wollte.

Doch dann setzte sich Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) persönlich für die Wiederaufnahme der Verhandlungen ein. VW-Personalvorstand Peter Hartz und IG-Metall-Vize Jürgen Peters hatten schon vor Beginn der letzten Verhandlungsrunde am Montag die Weichen gestellt. Als sich die Delegationen trafen, war das 30-seitige Vertragswerk schon weitgehend ausformuliert – nur die entscheidenden Zahlen zu Einkommen und Arbeitszeiten fehlten noch. Niemand wollte daran schuld sein, dass die 3.500 neuen Stellen für die Produktion eines VW-Minivans in Wolfsburg nicht entstehen. Außerdem hat der Konzern weitere 1.500 Jobs für die Fertigung eines Mikrobusses in Hannover in Aussicht gestellt.

Dafür hat die Gewerkschaft, die den Abschluss jetzt als „Vorbild für andere Regionen“ lobt, kräftig Federn lassen müssen – vor allem bei der Flexibilisierung der Arbeitszeit und dem so genannten Programmentgelt, das für die Beschäftigten unentgeltiche Nacharbeit bedeuten kann. Aber auch VW hat Abstriche gemacht: Hatte das Unternehmen Ende Juni den neu Eingestellten noch eine wöchentliche Anwesenheit von 42 Stunden zumuten wollen, sieht der Abschluss nun eine Arbeitszeit von durchschnittlich 35 Stunden vor. Hinzu kommt eine Qualifizierungszeit von 3 Stunden pro Woche, die nach Angaben des Gewerkschafters Meine von der Arbeit klar getrennt sein soll.

Arbeit auch am Samstag

Die jahresdurchschnittliche 35-Stunden-Woche ist allerdings hochgradig flexibilisiert. Das bedeutet, dass die Beschäftigten in der einzelnen Woche bis zu 42 Stunden arbeiten – sieben Stunden an sechs Tagen. Anders als bei der bisherigen „Volkswagenwoche“ wird der Samstag zu einem normalen Arbeitstag, an dem die neu Eingestellten maximal zehnmal pro Jahr auch zur Spätschicht anrücken müssen. Auf diese Weise kann jeder Beschäftigte bis zu 200 Überstunden auf einem Arbeitszeitkonto ansammeln. Dieses Plus soll später durch Freizeit ausgeglichen werden. Wenn dies nicht möglich ist, können die Überstunden aber ausbezahlt werden: mit einem Zuschlag von 25 Prozent.

Besonderen Wert legt die Unternehmensseite auf das vereinbarte „Programmentgelt“, das eine Grundidee des Projekts „5.000 mal 5.000“ ist. Bei der neuen VW-Tochter hätten die künftigen Mitarbeiter „ein hohes Maß an Verantwortung für Produktionsstückzahl und Qualität zu tragen“, betonte VW-Verhandlungsführer Josef-Fidelis Senn nach der Einigung gestern früh. Im Tarifvertrag wird festgeschrieben, dass die elf Produktionsgruppen in der Wolfsburger Minivanfertigung jeden Tag eine feste Stückzahl fehlerfreier Fahrzeuge abliefern müssen.

Nacharbeit bei Mängeln

Dabei ist das tägliche Ende der Arbeitszeit nach Senns Worten „flexibel“. Werde das Programm nicht erfüllt, hat der Mitarbeiter wie in der Schule nachzusitzen. Er muss „unmittelbar nach Schichtende die entsprechende Nacharbeit leisten“. Nach Angaben von Senn soll das Unternehmen so auch durch kurzfristige Abwesenheit vom Arbeitsplatz nicht mehr belastet werden. Je öfter also die Mitarbeiter tagsüber die Toilette aufsuchen, umso länger müssen sie nach Schichtschluss in der Montagehalle bleiben.

Bei der Entlohnung der 3.500 neuen VW-Beschäftigten hat die IG Metall allerdings nur den VW-Haustarif, nicht aber den niedersächsischen Flächentarif aufgegeben. Die Arbeitslosen, die zum Juli kommenden Jahres eingestellt werden, sollen zunächst drei Monate lang auf Kosten des Arbeitsamts geschult werden. Ab Oktober 2002 werden sie dann von VW eingestellt – zunächst allerdings für sechs Monate zur Probe. In dieser Qualifizierungspahse erhalten sie monatlich 4.000 Mark brutto.

Bis Frühjahr 2003 wird die Produktion des Minivans dann nach und nach hochgefahren. Danach will die Auto 5000 GmbH unbefristete Arbeitsverträge abschließen. Das Jahresbruttogehalt wächst dann stufenweise von gut 59.000 Mark im ersten Jahr auf gut 69.000 Mark im dritten Jahre. Das ist nach Angaben des IG-Metall-Verhandlungsführers Meine so viel, wie es die entsprechenden Lohngruppen des Flächentarifs für die niedersächsische Metallindustrie vorsehen.

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