: Böger muss noch Fasern zählen
Schulsenator kann erst heute sagen, ob Schulen durch Mineralfasern vergiftet sind. Experte befürchtet „fatale Folgen“
Der Schulbeginn am kommenden Montag bleibt weiter fraglich. Auch gestern konnte die Schulverwaltung nicht ausschließen, dass giftige Dämmstoffe in Berliner Schulen die Gesundheit von Schülern und Lehrern gefährden. Messungen der Raumluftkonzentration Krebs erregender Mineralfasern in drei Plattenbau-Schulen vom Typ „SK Berlin“ sollten Klarheit darüber verschaffen. Doch die eigentlich für gestern angekündigten Ergebnisse will Schulsenator Klaus Böger (SPD) erst heute verkünden.
Betroffen von der Mineralfaser sind auch Schulen im Westteil der Stadt. So wurden in der Turnhalle des Steglitzer Gymnasiums bereits vor vier Jahren alarmierende Messwerte festgestellt. Vor einem Jahr war die Halle deshalb geschlossen worden. Auch in anderen Gebäuden kam die Faser zur Anwendung. „Herkömmliche Glas- und Steinwolle wurde bis Mitte der 90er-Jahre in Gebäuden aller Art verbaut“, sagt Susanne Falkenhain von der Interessengemeinschaft der Mineralfasergeschädigten Deutschlands. Eine Gefahr bestünde vor allem dann, wenn das Dämmmaterial schlecht verarbeitet sei, also in hoher Konzentration in die Raum- und Atemluft gelangen könne.
Diese Meinung teilt der Krefelder Michael Obeloer, Sachverständiger für Schadstoffe in Innenräumen. Beweise für Krebserkrankungen durch derartige Stoffe gebe es seines Wissens zwar nicht. Bei Tierversuchen mit Ratten sei es allerdings zu Tumorbildungen gekommen.
Sollten sich Berliner Befürchtungen bestätigen, dass in Gebäuden des Typs „SK Berlin“ herkömmliche Mineralwolle in der Nähe von Querlüftungen verbaut wurde, befürchtet der Experte „fatale Folgen“. Der dann zu erwartenden Raumluftkonzentration könne man Schüler und Lehrer wohl kaum bedenkenlos aussetzen. „Ein Grenzwert für die maximale Faserbelastung wurde bisher aber nur am Arbeitsplatz festgelegt: 500.000 Fasern pro Kubikmeter Luft.“
„Oft sind die Dämmstoffe nur unzureichend von der Raumluft getrennt“, kritisiert Obeloer. In Turnhallendecken etwa durch einen Rieselschutz. „Schon das Aufhängen des Adventskranzes bei der Weihnachtsfeier kann diesen Schutz beschädigen.“ Die Sanierung sei indes kein großes Problem. „Wir überprüfen durch Sichtkontrollen alle Turnhallendecken auf Beschädigungen“, erklärte der stellvertretende Leiter des Steglitzer Bezirksschulamtes, Jörg Weese. Nach einer Prioritätenliste würde dann Halle für Halle saniert.
Dagegen herrschte in vielen anderen Bezirken gestern Ratlosigkeit. Messergebnisse waren nirgendwo zu erfahren, obwohl die Schulverwaltung den Bezirken als Trägern der Schulen solche Messungen empfohlen hatte. Meist war man noch damit beschäftigt, die im Bezirk vorhandenen Schulen vom Typ „SK Berlin“ zu zählen. Allein im Bezirk Lichtenberg gibt es davon fünfundvierzig Stück.
Sollte sich heute herausstellen, dass die bereits geschlossene Werner-Seelenbinder-Oberschule in Hohenschönhausen keine Ausnahme ist, droht auch an vielen anderen Schulen die Verlängerung der Sommerferien.
CHRISTIAN TERIETE
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