: Es geht um alles – die Identität
Sorben streiken morgen für den Erhalt ihrer Schule in Chrostwitz. Europäische Minderheitengruppen erklären sich solidarisch. Das Land Sachsen bleibt hart
BERLIN taz ■ Die Elterninitiative der sorbischen Mittelschule in Chrostwitz (Oberlausitz) und der sorbische Dachverband Domowina („Heimat“) haben für morgen zu einem Schulstreik aufgerufen. Sie wollen damit gegen die Schließung der fünften Klasse der dortigen sorbischsprachigen Mittelschule protestieren, die durch das sächsische Bildungsministerium zum Schuljahresbeginn Anfang August angeordnet wurde.
Bereits seit dem 9. August weigern sich die Eltern, wie vom Bildungsministerium gefordert ihre Kinder in drei benachbarte sorbischsprachige Mittelschulen zu schicken. Ihre Befürchtung: Der Schließung der Klasse könnte schon bald die Schließung der ganzen Schule folgen.
Für die Protestierenden geht es nicht um eine exotische Provinzposse, sie sehen durch die absehbare Schulschließung die Existenz der sorbischen Sprache und sorbischen Identität gefährdet. „Die gegenwärtige Politik des Bildungsministeriums ist nicht geeignet, Kultur und Sprache der Sorben zu schützen, wie es die Verfassung des Landes und die EU-Sprachencharta vorsehen“, sagte Jurij Wuschansky, Vertreter der Domowina, gegenüber der taz.
Stolz verweist Wuschansky auf zahlreiche Solidaritätserklärungen europäischer Minderheitengruppen – darunter unter anderem der Kulturverein der Burgenländischen Kroaten aus Österreich, der Zentralrat der Sinti und Roma in Deutschland sowie die polnischen Universitäten von Warschau, Krakau und Oppeln. Auch 64 Moskauer Intellektuelle setzen sich für den Erhalt der Schule ihrer slawischen Brüder und Schwestern ein.
Ein Ende des Konflikts zwischen Minderheitenrechte und bildungspolitischen Vorgaben des Landes Sachsens ist nicht in Sicht. Denn das Bildunsgministerium beharrt auf seine Richtlinien. Und die besagen: Für die Einrichtung einer Klassenstufe in einer Mittelschule auf dem Lande sind 40 Schüler vonnöten. Tatsächlich wollen in Chrostwitz derzeit nur 17 Schüler die fünfte Klasse besuchen.
Das Bildungsministerium rechnet laut Pressesprecher Steffen Große in den nächsten Jahren im sorbischen Landkreis Kamenz mit schwächeren Jahrgängen. Statt 119 Anmeldungen wie in diesem Jahr werden es in vier Jahren voraussichtlich nur noch 65 sein. Nach bisherigen Erfahrung wechseln etwa 20 Prozent der Mittelschüler nach der sechsten Klasse ans Gymnasium. „Für die verbleibenden 50 Schüler können im Landkreis künftig keine vier Mittelschulen unterhalten werden“, so Große.
Das sächsische Oberverwaltungsgericht hatte die Rechtsauffassung des Bildungsministeriums kürzlich gebilligt. Anders als die betroffenen Eltern sieht das Gericht die Minderheitenrechte der Sorben durch die schulischen Alternativangebote gewahrt.
Für den morgigen Schulstreik rechnet die Elterninitiative mit 1.500 Schülern von Grund- und Mittelschulen sowie einem Gymnasium aus dem Landkreis Kamenz. Für eineinhalb Stunden soll der Unterricht unterbrochen werden. Und für Sonntag ist ein Hearing in Chrostwitz geplant, auf dem die zukünftige Schulplanung im Landkreis diskutiert werden soll. HEIKO HÄNSEL
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