: Der Herr der Schrauben
taz-Serie „Schrille Läden“ (Teil 11): Bei Dieter Schmidt gibt es alle erdenklichen Ersatzteile für Schwalben und andere Ost-Mopeds. Doch richtige Schwalben-Fans findet der Mechaniker kurios
von KATJA BIGALKE
Drei alte grüne Schwalben stehen auf dem Bürgersteig, daneben ein blauer Star und ein gelber Sperber. Keine Vögel – Mopeds. Im kleinen Neuköllner Laden mit den verstaubten Fensterscheiben gibt es Motorräder von Simson. Das waren die Mopeds der DDR. Und weil Ladeninhaber Dieter Schmidt in der DDR seine Mechanikerausbildung gemacht hat, blieb er der Marke treu.
„Simsons suchen in Größe und Leistungsstärke ihresgleichen auf dem Markt“, preist er seine Maschinen an, „vernünftig gefahren, halten die bis zu 110.000 Kilometer, das schafft kein anderes Moped.“ In dem dunklen Einraumladen, der gleichzeitig als Reparaturwerkstatt dient, stapeln sich Schrauben aller Größen und Formen neben Ersatzteilen und Fahrradzubehör. Der halbe Raum steht voller Trekking-Bikes – der Nebenverdienst von Schmidt.
Neue Simson-Motorräder hat Schmidt auch, die sind bunter und runder als die alten und mit mehr Plastik. Eigentlich findet er die neuen Simsons besser als die alten. „Die sind voll funktionstüchtig“. Aber meist ist er mit der Reparatur der Alten beschäftigt. Dafür hat er alles auf Lager: Sitzbänke, Rücklichter, Lenkradblinkleuchten, Kickstarthebel und Kotflügel. Schmidt hat die Originalteile, die heute nicht mehr hergestellt werden, aus alten Beständen aufgekauft und kann so mit allem aushelfen.
Den Hang zum Alt-Motorrad versteht Schmidt aber nicht ganz. „Liegt vielleicht an meinem Alter“, sagt der 60-Jährige. Dass seine Kundschaft trotzdem vornehmlich alte Motorräder kauft, erklärt sich der Mechaniker mit der Rezession. „Alle müssen den Gürtel enger schnallen“, sagt er. Seine Klientel steige vom Auto aufs Motorrad um, um billiger unterwegs zu sein und um besser parken zu können.
Vom Schwalbenboom hat Schmidt nur am Rande mitbekommen. Wenige vereinzelte „Freaks“ verirren sich in die Hobrechtstraße, wo es neben Pokalläden und Kiosken nicht viel gibt. Die leidenschaftlichen Schwalbenfahrer findet Schmidt kurios. „Dann kommen die mit so ’ner alten Gondel für 300 Mark, fahren das Ding herunter bis alles abfällt und wollen es für 20 Mark repariert haben.“ Schwalben, die er selber herrichtet, verkauft Schmidt für mindestens 1.100 Mark.
Der Mechaniker im ölverschmierten Overall hält etwas von Qualitätsarbeit – vom Geschäft mit dem Trend hat er keine Ahnung – DDR-Lebensgefühl gibt es nicht in seinem Laden. An der Wand hängt ein Foto von den Klitschko-Brüdern, daneben eins von ihm selbst mit dem Nachbarn, der immer vorbeikommt, um an der Werkbank Kaffee zu trinken „Det iss Deko“, brummt der gebürtige Treptower und weist auf den 50er-Jahre-Ledersturzhelm im Schaufenster, der zwischen Gepäckträgern und Fahrradtaschen untergeht. Zu einem Mädchen, das eine Schraube für ihr Schutzblech will, sagt er: „Und die willste wohl noch mit der Kreditkarte bezahlen. Och, Mädchen.“
Simson Fahrrad-Moped-Laden, Pflügerstraße 75, 12047 Berlin. Montag– Freitag 9–18 Uhr, Samstag 9–12 Uhr
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