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Elend lang, aber mit Tiefgang

■ Baader/Meinhof bis zum Abwinken: der Mythos RAF mit Film-Klassikern zum Thema wiederbelebt

Man war hilflos, unsicher, völlig mit der Situation überfordert, als Anfang der Siebziger die Rote-Armee-Fraktion die Bundesrepublik terrorisierte. Kaufhausbrandstiftung, Buback-Attentat, Schleyer-Entführung. Terroristen-Plakate in jedem Tante-Emma-Laden, gesucht werden ... Namen, die sich unvergesslich ins Gedächtnis eingeprägt haben: Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe.

Blutiger Höhepunkt der RAF-Aktionen ist das Jahr 1977, der so genannte „Deutsche Herbst“. Bis heute übt der Mythos RAF besonders auf junge Menschen eine große Faszination aus. Der erste politische Prozess nach dem zweiten Weltkrieg war der um Baader, Meinhof, Ensslin und Raspe. Das erste Mal brutales und gewalttätiges Auflehnen gegen die Obrigkeit.

Der Kampf der RAF wird oft in den Himmel gehoben und dabei geraten die zahlreichen Menschenopfer in den Hintergrund. Die Medien-Coop im Lagerhaus und Bremen Krätze ließen am Freitagabend den Mythos RAF wieder aufleben. Von elf Uhr abends bis zum Morgengrauen zeigten sie Klassiker des RAF-Films – wenn man daraus überhaupt ein eigenes Genre kreieren kann. „Deutschland im Herbst“ (1977), eine Collage aus Kurzfilmen von elf verschiedenen Regisseuren – darunter Filmgrößen wie Rainer Werner Fassbinder, Alexander Kluge, Volker Schlöndorff – die künstlerisch die zum Zerreißen gespannte Stimmung in der BRD zur damaligen Zeit einfingen. „Stammheim“, ein Film von Reinhard Hauff über den RAF-Prozess 1975/76, nach dem Buch „Der Baader-Meinhof-Komplex“ von Stefan Aust. Und schließlich:„Die dritte Generation“, ebenfalls ein Fassbinder-Film.

„Elend lang“ war die Filmnacht, wie schon der Titel versprach. Das Publikum ließ sich beeindrucken von Andreas Baader – in „Stammheim“ gespielt von Ulrich Tukur – der den Richter während der Verhandlung als „faschistisches Schwein“ beschimpft. Die vier Angeklagten stören immer wieder die Verhandlung, werden gewalttätig, schreien, müssen aus dem Saal gezerrt werden. Diskussionen in der Filmpause. „Ich weiß nicht, was ich davon halten soll“, sagt eine Besucherin. „Ich habe teilweise dieselben Ziele, kann die Aktionen der RAF aber nicht mit meinem Pazifismus vereinbaren.“ Ratlosigkeit.

Eine spannende Atmosphäre herrscht im dritten Stock des Lagerhauses, in den Räumen der Medien-Coop. Jeder ist so vollkommen drin im Thema, alle Gedanken und Gespräche drehen sich nur um Baader, Meinhof, Ensslin, Raspe, die Obrigkeit und die Selbstmorde der Angeklagten. Und natürlich auch um die Isolationshaft in Stuttgart-Stammheim, dem angeblich sichersten Gefängnis weit und breit. Es ist kein oberflächliches „Sich-berieseln-lassen“, dieser Abend hat Tiefgang.

Für die Medien-Coop war die Filmnacht ein Pilotprojekt. Die „Elend langen Filmnächte“ sollen in Zukunft regelmäßig, immer am letzten Freitag im Monat, stattfinden. Für Ende September steht das Programm auch schon fest: Elend viele Folgen der 80er Jahre Kultserie „Die dreibeinigen Herrscher“. Kein ernstes Thema zum diskutieren, aber sicher trotzdem lohnenswert. spo

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