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Wohltuende Ohrenschützer

Die GAL-Fraktionschefin Antje Möller unternahm gestern im „Age Explorer“ einen Ausflug in ihre eigene Zukunft  ■ Von Christina Pohl

Auch wenn Antje Möller in dem zu großen Blaumann, mit den Handschuhen sowie den Ohrenschützern und mit dem Schutzhelm auf dem Kopf mehr an eine jugendliche Gocart-Fahrerin erinnerte: Die Vorsitzende der GAL-Fraktion befand sich gestern auf Zeitreise in das eigene Seniorendasein. Der Schauplatz dieses Quantensprunges: Stand 10.062, Halle 10, mitten im Herzen der alljährlichen Konsum- und Verbrauchermesse „Du und deine Welt“.

Es galt, den „Age Explorer“ der Ambulanten Pflegerischen Dienste der Diakonie am eigenen Leibe auszuprobieren. Wer hinter dem nach Jahrmarkt klingenden Namen jedoch eine futuristische Maschine mit dreidimensionaler Erlebniswelt vermutete, irrte. Der Ausflug ins Alter entpuppte sich als erstaunlich einfach und dennoch wirkungsvoll: In eben jenen blauen Overall, in dem Antje Möller und zuvor bereits Sozialsenatorin Karin Roth schwitzten, waren verschiedene Gewichte eingearbeitet worden, um die nachlassenden körperlichen Fähigkeiten im Alter zu simulieren. Bandagen und Schienen versteiften Knie und Ellenbogen, Ohrenschützer dämpften den von der benachbarten Aktionsbühne herüberschallenden Lärm und das beschichtete Visier raubte die Scharfsicht und verstärkte das Blendempfinden. Stachelige Handschuhe brannten und stachen bei jedem Griff in die Haut, um Arthritis vorzutäuschen.

Das Ziel der Qualen: Die mit dem Alter entstehenden Probleme physisch und emotional besser zu verstehen und einen Einblick in das Leben älterer Menschen zu gewinnen. Auch Antje Möller zeigte sich geläutert: „So weiß man erst, in was für einem Anzug man im Alter steckt.“ Wer diese Erfahrung gemacht habe, werde älteren Mitbürgern in Zukunft sicherlich mehr Verständnis und Rücksicht entgegenbringen. Nach einem mühseligen viertelstündlichen Parcours, bei dem es die Hindernisse des Alltags zu überwinden galt, schlüpfte Möller schließlich sichtbar erleichtert aus der Alterszwangsjacke wieder in die Gegenwart, um sogleich zu gewohnter Politikerbeweglichkeit zurückzukehren: Ob sie mehr Geld für Pflege bereithalte, wenn ihre Partei nach der Wahl an der Regierung beteiligt sein sollte, könne sie noch nicht versprechen.

Ein Taschentuch aus einer Pa-ckung zu holen oder einen Schokoriegel aufzureißen, erwies sich auch nach dem Entschwinden der lokalen Politikprominenz für viele Besucher des Standes tückischer als erwartet. So sprach denn Dr. Hanne Meyer-Hentschel, deren Betrieb den „Age Explorer“ entwickelt hatte, von einem Brückenschlag zwischen den Generationen. Angesichts des lärmigen Trubels auf der Messe wünschte sich jedoch bestimmt so mancher junge Tester, zumindest noch eine Weile in der durch Ohrenschützer schallgedämpften Welt des Alters bleiben zu dürfen.

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