: Der Hunger ist zäher als gedacht
Tagung in Bonn rätselt, warum es weltweit immer noch so viele Hungernde gibt. Gegentagung der Entwicklungsverbände meint: Wer etwas ändern will, muss an die Eigentumsverhältnisse. Weltweite Konvention zu Nahrungsmitteln gefordert
von KATHARINA KOUFEN
Vor fünf Jahren in Rom konnte es den Teilnehmern gar nicht schnell genug gehen. Bis 2015 wollte man damals beim ersten Welternährungsgipfel die Zahl der Hungernden halbieren, von 840 Millionen sollte sie binnen 20 Jahren auf 420 Millionen sinken. Jetzt, fünf Jahre später, hungern nach offiziellen Angaben immer noch 826 Millionen Menschen. 14 Millionen in fünf Jahren, das macht nicht einmal drei Millionen Hungernde pro Jahr. Wenn sich diese Woche die Prominenz der Hungerbekämpfung in Bonn trifft, dürfte sie das in der Gewissheit tun: Das Ziel von 1996 war viel zu ehrgeizig.
„Warum haben wir das Problem nicht gelöst?“ heißt denn auch das Thema am ersten Tag einer Anti-Hunger-Konferenz, organisiert vom Washingtoner Forschungsinstitut Ifpri. Politiker, Forscher, Bauern und einige Nichtregierungsorganisationen aus Industrie- und Entwicklungsländern nehmen teil. Sie haben bis Donnerstag Zeit, sich über eine Antwort Gedanken zu machen. Die Globalisierung soll „für die Armen funktionieren“, so ein Programmpunkt.
Ein Vortrag befasst sich mit den Folgen der Klimaerwärmung, ein anderer mit „Armut und Frauen“, ein dritter mit der Rolle der Welthandelsorganisation (WTO). Ferner soll auch diskutiert werden, ob genmanipulierte Nahrungsmittel den Hunger bekämpfen helfen oder nicht.
Für die Veranstalter eines kritischen Gegengipfels, der gleichzeitig in Bonn stattfindet, steht das eigentliche Problem auf der offiziellen Tagung viel zu sehr am Rande: „Hunger ist schlicht eine Frage der Umverteilung“, sagt Rainer Engels vom Forum Umwelt und Entwicklung. „Noch nie gab es auf der Welt so viele Nahrungsmittel pro Kopf.“ Wer den Hunger bekämpfen wolle, müsse an den Eigentumsverhältnissen rütteln und an der Landverteilung. Engels: „Das ist aber politisch nicht gewollt und kostet die Staaten zu viel Geld.“
Das Forum fordert einen internationalen Verhaltenskodex, der später als Konvention völkerrechtlich festgeschrieben werden soll. Darin soll jeder Staat seiner Bevölkerung das Menschenrecht auf Nahrung garantieren. Dazu gehört die Lagerung etwa von Reis oder Getreide auch in Zeiten, in denen hohe Weltmarktpreise zum Export verlocken. Eine solche Konvention hätte auch Einfluss auf die Politik der großen internationalen Organisationen wie WTO oder Internationaler Währungsfonds (IWF).
Beispiel IWF: Viele Entwicklungsländer subventionierten in den 80er-Jahren den Preis von Mais, Zucker oder Bohnen, so dass auch die Armen ihn bezahlen konnten. Anfang der 90er-Jahre verbot der IWF solche Subventionen. In Folge verdreifachten sich in manchen Ländern die Preise. Beispiel WTO: Patente auf Saatgut, die im Rahmen der WTO verhandelt werden, schaden vor allem den Bauern. Sie werden gezwungen, für jede Aussaat Geld an den Agrobetrieb zu überweisen, der das Patent darauf besitzt. Das erschwert die Anbausicherheit in armen Gegenden. „Jeder Bauer muss Zugang zu Land, Wasser und genetischen Ressourcen haben“, fordert daher Michael Windfuhr vom Entwicklungsverband Fian.
Statt „Unsummen“ in die Erforschung genmanipulierter Nahrungsmittel zu stecken, sollten Hunger und Mangelernährung besser direkt bekämpft werden, meint Engels. „Menschen mit Vitamin A-Mangel zum Beispiel ist viel mehr geholfen, wenn man ihnen Gemüseanbau vor Ort finanziert, als für den zehnfachen Betrag Vitamin-A-haltigen Reis herzustellen.“
Das sieht nicht nur die Agrolobby anderes, die sich hohe Profite aus der Gentechnik verspricht. Auch die Entwicklungsorganisation der UNO, die UNDP, empfahl in ihrem neuesten Entwicklungbericht die Aussaat genmanipulierter Reissorten, die 50 Prozent mehr Ertrag bringen könnten und zudem eiweißhaltiger seien.
Der Zeitpunkt für die Bonner Tagung ist nicht zufällig gewählt. Das Thema „Hunger“ steht bald wieder an: Für November ist die „Rom plus fünf“ Konferenz geplant, eingeladen hat die UN-Ernährungsorganisation FAO. Allerdings ist es seit vergangenem Wochenende amtlich: Der Folgegipfel wird nicht in Rom stattfinden, sondern in einer anderen italienischen Stadt – Rom sollen Demonstrationen wie kürzlich in Genua nicht zugemutet werden.
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