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Der Kulti ist besser als Mallorca

Annäherung an einen Berliner Park: Früher hielten hier Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg Reden an streikende Werftarbeiter. Heute ist der Treptower Park mitsamt seinen Spreeuferpromenaden fest in den Händen der Freizeitindustrie und Erholungsstätte für Angestellte von Multimedia-Agenturen

Rüstige Rentner kreiseln um die Anlegestelle der „Spreeperle“

von JANA SITTNICK

In der ersten Bude kaufe ich Räucherfisch, in der zweiten Holland-Obst, dann Billigsonnenbrille, Bastmatte, Baumwollkappe und Kunststoffrucksack. Mit dem Dampfer fahre ich heute nicht, ich bleibe an Land, mache mir einen Ferientag de Luxe. Der Uferpromenade folgend, fahre ich mit dem Rad spreewärts in die Großgrünfläche Treptower Park.

Die großzügig gestaltete Landschaft beruhigt meinen irrenden Blick, der hier in die Weite schweifen kann, ohne sich an dicht gedrängten Dingen zu stören. Wiesen, auf denen vereinzelt Platanen und Eichen stehen, Buschwerk nur an den Wegbegrenzungen, Sichtachsen, die durch den grünen Raum schneiden und zum schimmernden Wasser hindeuten.

Als dritter „kommunaler Volksgarten“, nach Humboldthain und Friedrichshain, wurde der Treptower Park 1877 nach den Plänen des Lenné-Schülers Gustav Meyer im „englischen Stil“ erbaut. Arbeiterfamilien konnten im Gartenlokal „Zenner“ Kaffee kochen, die „Gewerbeausstellung“ von 1896, die beinahe Weltausstellung geworden wäre, fand hier statt, und 1919 agitierten die KPD-Begründer Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg vor fünfzehntausend streikenden Arbeitern auf den Wiesen.

Heute ist die Uferpromenade am Parkeingang fest in der Hand der Freizeitindustrie, und vis-à-vis liegen Ausflugsdampfer vor Anker. Es ist 10 Uhr am Vormittag, und das erste Schiff der „Stern- und Kreisschiffahrt“ ist schon ausgebucht. Rüstige Rentner kreiseln zwischen dem Ticketschalter und der Anlegestelle der „Spreeperle“. Zweieinhalb Stunden kann man fahren oder fünf, durch Treptow und Köpenick zum Müggelsee, mit Landgang oder ohne. Die spendablen Rentner bestellen an Bord Kännchen Kaffee und Schwarzwälder Kirschtorte, die anderen packen ihre Brote aus. Auf den Wiesen lagern die Sonnenkinder der Stadt, trommeln, kiffen und lassen die Uhren langsamer laufen. Ich lege mich dazu. Zur Mittagszeit eilen junge Männer im Business-Look auf dem breiten Asphaltweg durch den Park, schwer bemüht, sich in der Pause zu erholen. Ich treffe Jan-Ole, Software-Entwickler von Beruf. Er kommt bei schönem Wetter täglich hierher, „zum Abschalten“.

Der 27 Jahre alte Schwede arbeitet in den „Treptowers“, den Glasstahlbetontürmen hinter der Elsenbrücke, in denen IT-Firmen und Multimedia-Agenturen sitzen. Mittags kann er dreißig Minuten raus, dann lässt er sein Jackett im Büro, holt sich einen Lachsbagel und läuft zum Wasser. Das Schlipsende hat sich beim Laufen unbemerkt über seine Schulter gelegt. Ich zeige Jan-Ole den „Rosengarten“, angelegt zum zwanzigsten Jahrestag der DDR. Das Betonensemble mit Blumenbeet sieht in der prallen Sonne ganz dürr aus. Weit und breit ist kein Schatten. Das gefällt Jan-Ole nicht.

An den Imbissluken des „Zenner“ holen wir uns ein Bier, ich rutsche auf den Kieseln hin und her, mit denen der Boden des „Ausflugslokals“ bestreut ist. Wir trinken. Jan-Ole schaut versonnen zur Spree und den Tretbooten hinüber und sagt, dass er Berlin „einmalig“ findet. Dann muss er zurück.

Vom anderen Spreeufer leuchten die Stralauer Neubauten. Die dreistöckigen Wohlfühlhäuser mit Bullauge sind bestimmt aus dem „Schöner Wohnen“-Katalog. Alfred R. ist das egal. Er schaut jeden Tag auf die Neubauten, „aber ick seh die ja nich, ick kiek durch die durch“. Der sechsundsechzigjährige Treptower und seine Frau Gitti verbringen ihren Sommer auf ein und derselben Grünfläche im hinteren Teil des Parks, kurz vor der Insel der Jugend. Hier schlagen die R.s ihre Campingstühle auf, sitzen, essen, und lösen Kreuzworträtsel. Manchmal kommen Bekannte vorbei, die auf einer anderen Grünfläche liegen. „Dit Campingzeug hab ick noch aus Ostzeiten“, sagt Alfred R. stolz, „dit jeht nich kaputt.“

Früher fuhr er oft zum Urlaub ans Meer, nach Usedom, ins Ostseebad Bansin. In die Dauerzelte, die der Betrieb, das „Kabelwerk Oberspree“ aufstellte. „Dit war doch jut“, meint R., „da hat man doch allet jehabt, wat man brauchte, Kochecke, Schlafecke, dit Wassa unten, und ‚ne jute Grundversorgung am Zeltplatzkiosk.“ Nein, nach Mallorca zieht es ihn nicht, „zu de Ballamänna“, da bleibt er lieber im Park, mit den Stühlen von früher. Sabrina Witte wohnt im „Spreepark“. Wenn sie morgens aufwacht, liegt die Achterbahn noch still, niemand kreischt im Geschwindigkeitsrausch. Das ändert sich, wenn sich um 10 Uhr die Tore des einzigen Berliner Vergnügungsparks öffnen. In den Schulferien ist Hochsaison, da pumpt der Technobeat den ganzen Tag. Der „Spreepark“ liegt hinter dem Treptower Park, im Plänterwald. Früher hieß er Kulturpark, oder „Kulti“, da konnte man West-Computerspiele spielen und Quarkkeulchen essen. In den Achtzigern trafen sich die Ostberliner Punks an der „kleinen Bühne“, tranken Bier und tanzten Pogo, wenn der DJ ihre Kassetten mit den verbotenen Kellerbands einlegte. Heute ist der Spreepark mit High-Tech-Fahrgeschäften ausgestattet.

„Ich verkaufe Spaß und Freude“, sagt Parkbetreiber Norbert Witte, der sich als „Dienstleister der Erlebnisindustrie“ bezeichnet. Seine Tochter Sabrina will die Rummelwelt verlassen, sobald sie volljährig ist. Die Sechzehnjährige singt Koloratursopran mit fünf Oktaven und will ins Showgeschäft. Sie hofft auf Georg Moosheuer von Universal, den Vater des „No Angels“-Produzenten Patrick. „Der will mich fünfzehn Monate pushen, ein paar perfekte Song produzieren und mein Image aufbauen.“

Danach, so glaubt die hübsche Blondine, geht es „richtig“ los. Dann beginnt das Abenteuer Leben.

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