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UMWORBEN, ABER UNGERÜHRT: NORDKOREA LÖST KRISE IN SÜDKOREA AUSEiskalt in Pjöngjang

Groß waren die Hoffnungen der Südkoreaner, als Präsident Kim Dae Jung vor über drei Jahren seine Entspannungspolitik gegenüber dem Norden verkündete. Zwar warnte er oft vor zu hohen Erwartungen, weil das nordkoreanische Regime bekannt war für seine Unberechenbarkeit. Doch die Fortschritte zu Beginn waren ermutigend, und ein Gipfeltreffen der beiden Staatschefs kam im Juni 2000 endlich zustande. Kim Dae Jung reiste in den Norden, und die Welt erlebte das Coming-out des geheimnisumwitterten Führers Kim Jong Il. Der Weg für die Rückkehr des letzten stalinistischen Regimes in die internationale Gemeinschaft schien geebnet und damit auch die Aussicht auf eine beschleunigte Annäherung der beiden verfeindeten Bruderstaaten.

Doch nun steht es schlecht um die „Sonnenscheinpolitik“. Der Preis für die Annäherung gilt inzwischen auch einer Mehrheit der südkoreanischen Bevölkerung als zu hoch, weil Nordkorea außer zu zwei Familientreffen in keiner anderen wichtigen Frage die Hand geboten hat. Dafür empfing die Regierung in Pjöngjang Delegationen aus aller Welt und feierten einen diplomatischen Durchbruch nach dem anderen. Neun europäische Staaten und die EU nahmen offizielle diplomatische Beziehungen mit Nordkorea auf, ohne daran konkrete Bedingungen zu knüpfen. Es war sogar meist umgekehrt: Pjöngjang legte eine Wunschliste für Investitionen vor, die dem heruntergewirtschafteten Land auf die Beine helfen sollte.

Eiskalt berechnend nutzte das Regime im Winter die schärfere Gangart der neuen US-Regierung in der Nordkorea-Politik aus, um die meisten seiner früheren Zusagen zurückzunehmen, mit denen es Entspannung hinsichtlich der Raketen- und Atomprogramme signalisiert hatte. Zwar erklärte die USA nur, dass sie die Clinton-Politik überprüfen und bei der Kontrolle von vermuteten Atomanlagen eine härtere Gangart einschlagen könnte. Die Drohung aus Washington genügte für Pjöngjang jedoch, die Gespräche mit Seoul aufs Eis zu legen und damit die Sonnenscheinpolitik des südkoreanischen Präsidenten zu torpedieren.

Ein halbherziges Angebot Nordkoreas zum Dialog kam erst, als die Regierungskrise in Seoul schon nicht mehr einzudämmen war. Kim Dae Jung wird sich nun den wirtschaftlichen Problemen im Inland widmen, bevor er seine Kräfte für eine Weiterführung des Dialogs mit Pjöngjang sammeln kann. Jetzt ist der Norden an der Reihe. Nur wenn er ein versöhnliches Angebot an die USA richtet und bereit ist, die Atomanlagen inspizieren zu lassen und das Raketenprogramm zu stoppen, besteht Hoffnung, dass die Annäherung auf der koreanischen Halbinsel weitergeht. ANDRÉ KUNZ

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