der schill-faktor
: Hamburg im Wechselfieber

Sie machen eine gute Politik, Sozialdemokraten und Grüne in Hamburg. Die ökonomischen Ziffern sprechen für die Koalition, die Stimmung allerdings gegen sie. In zweieinhalb Wochen dürfte die Koalition abgelöst werden, denn in der Hansestadt herrscht Wechselstimmung.

Kommentarvon JAN FEDDERSEN

Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens regiert die SPD seit Mitte der Fünfzigerjahre in Hamburg ununterbrochen und nicht erst seit vier Jahren in einer Art, die als arrogant zu bezeichnen untertrieben ist. Zweitens hofft kaum einer mehr, dass die Grünen die Sozialdemokraten korrigieren. Vielmehr sekundieren die einstigen Rebellen der Stadt den Sozen, als hätten sie vor den Oppositionsbänken Angst. Zusammen stellen beide Parteien einen Senat, der graumehliger nicht wirken könnte: Der SPD fehlt ein Star wie Henning Voscherau, den Grünen die alten Kämpen, die sich in der Regenbogenfraktion abgespalten haben, weil sie den knüppelharten Realokurs von Krista Sager & Co. nicht mittragen wollen.

Das heißt nicht, dass die Bevölkerung jetzt auf die Union oder die Liberalen abführe – im Gegenteil: Beide Parteien werden allein nicht die rot-grüne Koalition beerben können. Beide Parteien können von der Wechselstimmung kaum profitieren. Die Gefahr geht vielmehr von einem Mann aus, der in erster Linie in den klassisch sozialdemokratischen Wählergebieten wildert – dort, wo die Proleten leben, in den Slums abseits der Metropole. Er spricht die an, die sich als Modernisierungsverlierer fühlen und Grund haben, der rot-grünen Rhetorik von der neuen schönen Welt zu misstrauen.

Ronald Barnabas Schill hat eigentlich kein Programm, nur das Schlagwort „Sicherheit“ auf seinen Plakaten. Er symbolisiert die Haltung des „So isses“, die Mentalität eines Dorfpolizisten, der hart durchzugreifen verspricht, und das Credo des Zukurzgekommen. Er hat das, was Sozialdemokraten früher selbstverständlich eigen war – eine gewisse Neigung zum Anti- und Kleinbürgerlichen: Das zog. Und das macht nun Schill so attraktiv.

In Hamburg hat sich die SPD so entwickelt, dass sie sich kulturell kaum noch von den gymnasial geprägten Grünen unterscheidet – und diese wiederum wirken, gemessen an der Geschichte dieser Opposition, gediegen.

Schill muss gar nichts machen, um auf 15 Prozent zu kommen: Rot-Grün steht – bei aller Erfolgsbilanz – für gründlichen Filz und ökologische Besserwisserei. Das ist trostlos, aber wahr.

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